Julia Extra Band 367
auffallend blauen Augen eindringlich studiert, als wollte er herausfinden, was sie im Schilde führte.
„Heißt das, dass ich zu Ciro gehen und mit ihm reden soll?“, fragte Danielle, als Lily schwieg. „Vor ungefähr zweihundert versammelten Gästen in der Kirche soll ich ihm erklären, dass du es dir anders überlegt hast und ihn nicht heiraten willst?“
Einige wenige Sekunden lang malte Lily sich die Szene aus. Sie stellte sich das Raunen vor und wie sich alle Gäste peinlich berührt ansahen. Und lachte laut, als ihr bewusst wurde, wie lächerlich das alles war. Wie konnte ihr nur so etwas Verrücktes in den Sinn kommen? War dieser Tag nicht genau das, wovon sie insgeheim geträumt hatte, seit sie Ciro zum ersten Mal gesehen hatte? Als sein Anblick ihrem Herzen einen Stich versetzt hatte und sie sich zu ihm hingezogen fühlte wie zu keinem anderen Mann zuvor?
„Nein, ich habe es mir nicht anders überlegt, Dani. Und du hast recht, meine blöde Nervosität hat mich ganz vergessen lassen, was für ein Glück ich habe.“ Sie erhob sich anmutig, und die unzähligen Lagen von Seidentüll, aus denen der Rock ihres Brautkleides gefertigt war, raschelten sinnlich. „Komm, lass uns gehen. Denn ich weiß nicht, ob es in Italien üblich ist, dass sich die Braut verspätet, und nebenan wartet mein sehr nervöser kleiner Bruder, den ich dazu beschwatzt habe, mich zum Altar zu führen.“
Während der kurzen Fahrt war Lily viel zu aufgeregt, um etwas von der Schönheit Neapels zur Kenntnis zu nehmen, und den begeisterten Kommentaren von Jonny und Danielle lauschte sie nur mit halbem Ohr. Aber als der Wagen vor der kleinen Kirche hielt, hatte sie das eigentümliche Gefühl, sich unaufhaltsam ihrem Schicksal zu nähern.
Bewundernde Stille legte sich über die versammelte Hochzeitsgemeinde, als die Braut unter dem Portalbogen erschien. Wie aus weiter Ferne nahm Lily den schweren Blumenduft war, drangen die feierlichen Orgelklänge an ihr Ohr. Für einen Moment fühlte sie sich überwältigt von der Bedeutung des bevorstehenden Schritts, doch dann beruhigte sie sich, dass auch das völlig normal sei. Denn es war ein wichtiger Schritt. Einer der wichtigsten in ihrem Leben.
Also wartete sie, bis Danielle noch einmal ihren Schleier perfekt zurechtgezupft hatte, hakte sich bei Jonny ein und ging am Arm ihres Bruders langsam den langen Gang hinunter zum Altar. Natürlich waren die Blicke aller Anwesenden auf sie gerichtet, und es waren fast alles Fremde. Doch Lily hatte sowieso nur Augen für eine Person. Eine Person, die alles dominierte, die ihr ganzes Leben bestimmt hatte von dem Moment an, da sie an einem sonnigen, englischen Frühsommertag in ihrem Garten aufgetaucht war.
Groß und dunkel und atemberaubend attraktiv, erschien Ciro an diesem Tag ungewohnt förmlich. Aber nicht allein der Hochzeitsanzug ließ ihn so fremd wirken, als würde sie ihn gar nicht wirklich kennen. Er ist hier zu Hause, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Zu Hause unter all diesen eleganten, kultivierten Leuten, wohingegen ich, die blasse Engländerin, hier keinen Menschen kenne. Ihr Herz setzte für einen Schlag aus und sie glaubte, es doch nicht durchziehen zu können. Mitten im Schritt verharrte ihr weißer Pumps in einem in allen Regenbogenfarben schillernden Lichtfleck, den die Sonne durch die Buntglasfenster auf den Boden warf. Lily spürte, dass Jonny sie besorgt ansah.
In diesem Moment drehte sich der Mann, der am Altar auf sie wartete, langsam zu ihr um, und sofort begann ihr Herz wie wild zu pochen. Das ist Ciro, dachte sie und ging sicheren Schrittes weiter, während sie ein warmes Glücksgefühl erfüllte, je näher sie ihm kam. Freudig begegnete sie dem Blick seiner dunklen Augen, als sie vor ihm stehen blieb. Vor dem Mann, den sie inzwischen bewunderte und respektierte. Der ihr irgendwie die Perlen ihrer Mutter zurückgebracht und ihr streng erklärt hatte, dass es ein Verbrechen wäre, ihren talentierten Bruder nicht studieren zu lassen. Der so viele liebe Dinge getan hatte, nur um sie dazu zu bringen, heute vor ihm zu stehen. Ihr geliebter Ciro.
„Alles in Ordnung?“, flüsterte er. Sie nickte und legte ihre Hand in seine.
Die Trauung wurde in Englisch und Italienisch vollzogen. Lily war froh, dass sie es durch ihr Trauversprechen schaffte, ohne sich zu verhaspeln, aber ihre Hand zitterte sichtbar, als Ciro ihr den goldenen Ehering ansteckte. Kaum hatte der Priester sie zu Mann und Frau erklärte und die
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