Julia Extra Band 369
augenblicklich zu ihm hingezogen fühlte. „Was ist mit deiner Familie? Du sprichst nie von ihr. Aber ich vermute jetzt einfach mal, dass du nicht in einem Laden für Büroartikel aufgewachsen bist. Trotz deiner ausgezeichneten Sachkenntnisse auf diesem Gebiet.“
Er lächelte und sah sie erwartungsvoll an. Dru räusperte sich und stellte fest, dass sie versuchte, ihn hinzuhalten. Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte sie sich über sein Interesse, egal welcher Art, gefreut. Aber nicht jetzt. Nicht, wenn sie vorhatte, ihn zu verlassen. Denn wie würde es sein, wenn er alles von ihr wusste? Wie sollte sie es dann noch verkraften, ihn zu verlieren?
„Richtig, ich bin in keinem Büroartikelladen aufgewachsen“, erwiderte Dru leichthin. „Oder gab es da Gerüchte in der Firma, von denen ich nichts mitbekommen habe?“
Cayo neigte den Kopf und betrachtete sie abwartend.
Verflucht, er lässt sich nicht von seiner Frage ablenken. Nervös stellte Dru ihr Wasserglas zurück auf den Tisch. „Wir lebten in der Grafschaft Shropshire, in einem Dorf unweit von Shrewsbury, bis mein Vater starb. Dominic und ich waren knapp fünf Jahre alt.“
Cayo hob fragend seine Brauen.
„Ja, Zwillinge. Danach zogen wir ziemlich oft um. Erst an der Uni konnte ich das Privileg genießen, für mehrere Jahre an einem Ort zu bleiben.“
„Warum seid ihr so oft umgezogen?“, wollte Cayo wissen und sah sie aufmerksam an. Er schien wirklich an ihrer Geschichte interessiert zu sein. Und vielleicht sprach sie deshalb weiter, trotz ihrer Bedenken.
„Meine Mutter hatte viele Liebhaber.“ Über dieses dunkle Kapitel ihres Lebens hatte Dru bisher mit kaum jemandem gesprochen. Daher empfand sie es als umso erstaunlicher, wie leicht ihr dieser Satz über die Lippen ging, wenn es auch nur eine Andeutung dessen war, was in all diesen Jahren geschehen war. „Einige von ihnen wurden … Stiefväter.“
Sie hatte nicht die Absicht, noch weiter über ihre Familie zu sprechen. Doch als sie seinem Blick begegnete, spürte Dru, wie viel ihm daran gelegen war, mehr über sie zu erfahren. Er wollte ihr Geheimnis lüften. Und Dru ahnte schon jetzt, dass es ihm gelingen würde.
„Meine Mutter hatte nach meinem Vater auch noch einen anderen Mann“, begann Cayo und machte dann eine effektvolle Pause, bevor er weitersprach. In seinen Augen blitzte plötzlich der Schalk. „Sie ist jetzt mit Jesus verheiratet. Darüber kann ich mich natürlich schlecht beschweren.“
Unwillkürlich musste Dru lächeln, und Cayo schenkte ihr einen so warmen Blick, dass sie mit einem Mal spürte, wie bereit sie war, ihm Dinge anzuvertrauen, die sie noch nie zuvor jemandem erzählt hatte. Trotz des nahenden Endes dieser Affäre. Und trotz der Gefahr, sich damit verletzlich zu machen. Einfach, weil sie es wollte.
Ja, es würde bald eine neue Assistentin und neue Frauen in seinem Leben geben. Doch trotzdem hatte Dru die leise Hoffnung, dass er später an sie zurückdenken würde. An sie und ihre Geschichte.
„Sie waren gewalttätig.“ Dru war überrascht, wie fest ihre Stimme klang. Cayo hielt ihren Blick, und allein das gab ihr Halt und Sicherheit. „Zuerst nur zu meiner Mutter, und später auch zu Dominic. Ich dagegen war ziemlich gut darin, mich unsichtbar zu machen.“
„Das glaube ich dir“, sagte er mit rauer Stimme. „Darin bist du immer noch gut.“
„Aber dann wurde ich älter“, sprach Dru weiter. „Und sie begannen mich zu bemerken.“ Sie schluckte und schüttelte den Kopf, als könnte sie so die Erinnerung vertreiben. Cayos Blick verdunkelte sich. „Da war einer namens Harold, der war der Schlimmste. Er hat immer versucht, mit mir alleine zu sein. Und sobald sich für ihn eine Gelegenheit bot, hat er mich angefasst. Als ich meiner Mutter davon erzählte, hat sie mich geohrfeigt und mich Lügnerin und Flittchen genannt.“ Dru zuckte unbeteiligt mit den Schultern, so als hätte sie diese Tragödie längst verarbeitet. Doch in Wahrheit hatte sie noch nie jemandem davon erzählt. Zumindest nicht so. „Sobald ich konnte, bin ich von zu Hause weg. Mit neunzehn habe ich meine Mutter das letzte Mal gesehen.“
Es hatte nur eine Person auf dieser Welt gegeben, mit der sie über ihre dunkle Vergangenheit hatte sprechen können – und das war Dominic gewesen, ihr stiller Leidensgenosse. Doch sie hatten nur wenige Worte für das gefunden, was man ihnen angetan hatte. Ihr Schweigen war zugleich ihr Schutz gewesen.
Sie wandte ihren Blick von Cayo ab und
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