Julia Extra Band 369
griff wieder nach ihrem Weinglas, denn etwas Alkohol konnte niemals so viel Schaden anrichten wie Cayo. Dieser Mann gab ihr das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, einfach indem er ihr zuhörte und mit ihr sprach.
„Und dein Zwillingsbruder?“, erkundigte sich Cayo nach einem Moment. „Hast du zu ihm auch keinen Kontakt mehr?“
Seine Frage traf sie mit unerwarteter Heftigkeit, fast wie ein Schlag. Doch viel schlimmer waren die schrecklichen Schuldgefühle, die sie bei dem Gedanken an Dominic immer überkamen.
„Nein, das ist auch schwer möglich“, schleuderte sie ihm schärfer als beabsichtigt entgegen. „Denn er ist tot.“
Es war alles so erbärmlich. Sie hasste sich selbst dafür. Dru stellte das Weinglas zurück auf den Tisch und schlang ihre Arme um sich, als wollte sie sich selbst vor etwas beschützen.
Cayo blickte sie unverwandt an. Er schien ihr nicht übel zu nehmen, dass sie ihn so aus dem Nichts heraus angefahren hatte. Im Gegenteil. Er saß einfach nur da, viel zu still und viel zu nah.
„Tut mir leid“, sagte er nach einem Moment mit ruhiger Stimme.
„Nein“, unterbrach sie ihn. „Mir tut es leid, dass ich eben so unfreundlich war. Du konntest es ja nicht wissen. Und ich bin es nicht gewohnt, darüber zu sprechen. Über Dominic. Und seinen Tod. Diese ganze Situation ist noch neu für mich.“
„Neu?“ Cayo runzelte die Stirn und wirkte sichtlich irritiert. „Was meinst du mit neu? Ich kann mich gar nicht erinnern, dass du dir eine Auszeit genommen hast?“
Seit fünf Jahren nicht, um genau zu sein.
„Eine Auszeit?“ Sie schüttelte den Kopf und lachte kurz trocken auf. „Nun, das erschien mir völlig aussichtslos. Ich habe nicht einmal in Erwägung gezogen, dich danach zu fragen. Aber das dürfte dich eigentlich nicht verwundern. Ich meine, wie hast du bitte schön auf meine Kündigung reagiert?“
Seine Gesichtszüge verhärteten sich merklich, und an seinem Kiefer zuckte ein Muskel. In der Tiefe seiner dunklen Augen sah Dru so etwas wie Schmerz aufblitzen, und augenblicklich verspürte sie das Bedürfnis, ihm tröstend über die Wange zu streichen. Noch immer hingen ihre Worte zwischen ihnen in der Luft. Aber jetzt waren sie ausgesprochen, und sie konnte nichts mehr daran ändern.
„Ja“, sagte er nach einer Weile, und seine Stimme klang seltsam tonlos und fremd. „Natürlich. Ich bin ein herzloses Ungeheuer, das dich nicht mal zur Bestattung deines Bruders gehen lässt.“
Drus Herz zog sich zusammen und sie schüttelte den Kopf. „So hatte ich das nicht gemeint …“
Doch Cayo hob abwehrend die Hände und sprach weiter. „Aber was weiß ich schon über Familie? Ich meine, nicht einmal mein Großvater hat zu mir gestanden. Im Grunde bist du die einzige Person, die es für eine längere Zeit mit mir ausgehalten hat.“ Er lächelte gequält. „Ich kann da also wirklich nicht mitreden.“
Dru konnte es kaum ertragen, ihn so zu erleben.
„Jetzt rede doch keinen Unsinn“, sagte sie ruhig.
Er erstarrte, und seine dunklen Augen weiteten sich.
„Ich habe doch nur gesagt, dass ich bezweifelt habe, frei zu bekommen. Du bist ein sehr anspruchsvoller Chef und erwartest viel von deinen Mitarbeitern. Und ich hatte einfach nicht das Gefühl, dass du viel Verständnis für mein Privatleben haben würdest.“
„Aber du konntest doch gar nicht wissen, wie ich reagieren würde“, antwortete er.
„Ich wusste genau, wie du reagieren würdest“, erwiderte sie. „Genau dafür bezahlst du mich. Du hast mir für diese Fähigkeit sogar das Dreifache meines Gehalts geboten und eine Privatinsel meiner Wahl, falls du dich erinnerst.“
Für einen sehr langen Moment sah er sie einfach nur an. Und dann legte er plötzlich den Kopf in den Nacken und begann laut zu lachen.
Dru hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit dieser Reaktion. Sie hatte ja nicht einmal gewusst, dass er überhaupt lachen konnte. Mehr noch, sein Lachen war so ansteckend und voller Lebensfreude, dass sie es kaum fassen konnte. Er wirkte plötzlich so befreit und verändert. Und auch Dru fühlte sich verändert. Ja, irgendetwas war anders …
Die Erkenntnis traf sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel, raubte ihr den Atem und ließ ihren Puls in die Höhe schnellen.
Ich liebe ihn!
Und das schon seit einer Ewigkeit. Was hatte sie sich all die Zeit nur vorgemacht? Sie hatte es als eine vorübergehende Vernarrtheit abgetan. Bereitwillig hatte sie sich für ihn aufgeopfert und ihre eigenen Bedürfnisse
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