Julia Extra Band 369
Berührung, brauchte sie. Und sie wollte mehr, suchte nach Vergeben und Vergessen.
Sie hob den Kopf, bot Rafe ihre Lippen. Als sie sein Zögern bemerkte, war sie es, die den Abstand überbrückte und ihren Mund auf seinen presste, ihn mit all der Trauer küsste, die in ihr brannte.
Zuerst schien Rafe schockiert, dann jedoch erwiderte er den Kuss. Bis er sich mit einem Ruck zurückzog. Die Verzweiflung ergriff wieder von ihrer Seele Besitz. Er war angewidert von ihr …
„Nein.“ Sein Atem ging schnell. „Nicht so. Nicht wie …“
Er brach ab, doch Freya wusste, was er meinte. Nicht wie letztes Mal. Sex brachte nur flüchtige Erlösung, und gleich darauf folgte die Reue.
„Du brauchst Ruhe. Später ist auch noch Zeit, um … um zu reden.“
Sie brauchte keine Ruhe, sie brauchte Rafe. Dennoch stimmte sie zu, weil sie nicht zugeben wollte, wie sehr sie ihn brauchte.
Zusammen kehrten sie ins Haus zurück. An der Tür zu seinem Arbeitszimmer blieb Rafe stehen. „Gute Nacht“, sagte er, und Freya ging zur Treppe.
Als sie das Klicken des Türschlosses hinter sich vernahm, meinte sie, dass viel mehr verschlossen worden war – die Tür zu seinem Herzen, die Tür zur Hoffnung.
Dann ist dieses Baby tatsächlich ein Wunder.
Für einen Moment hatte Rafe ihr Trost angeboten, aber mehr als ein Moment war es nicht gewesen.
In ihrem Bett starrte Freya in die Dunkelheit. Ihre Gefühle für Rafe gingen viel tiefer. Sie liebte ihn. Liebte seine innige Zuneigung für Max, liebte seinen Sanftmut und sein Mitgefühl, die er in sich verschloss, weil Ärger und Enttäuschung über seine unglückliche Ehe noch immer in ihm tobten.
Tränen rannen ihr über die Wangen. Sie wusste genau, was sie wollte: Liebe, Ehe, Kinder. Mit Rafe. Nur hatte sie Angst, dass Rafe nicht das Gleiche wollte. Nach ihrer Beichte fürchtete sie, dass er sie gleich morgen für immer wegschicken würde.
In seinem Arbeitszimmer starrte Rafe mit leeren Augen vor sich hin. Freyas Beichte hatte ihn zutiefst erschüttert. Was sie hatte ertragen müssen, löste Ärger, Bedauern, Mitleid in ihm aus.
Und überraschenderweise Schuld.
In den Jahren seiner Ehe hatte er sich niemals schuldig gefühlt. Rosalia war es, die gelogen hatte. Fünf Jahre lang hatte sie ihn getäuscht. Er hatte sich nichts vorzuwerfen.
Doch nun, im Licht von Freyas schonungsloser Ehrlichkeit, wurde es Zeit, ehrlich mit sich selbst zu sein. Für was für einen Mann hatte Rosalia ihn gehalten? Was für ein Mann war er gewesen? Er war besessen gewesen von dem Wunsch nach einem Kind, um die Familie zu ersetzen, in der er aufgewachsen war. Mit einer Mutter, die ihn nicht ansehen konnte, ohne nicht an die eigene Schande erinnert zu werden, und einem Vater, der ihn gehasst hatte. Er hatte geglaubt, die Erinnerungen mit einer eigenen Familie wettmachen zu können.
Er hätte sich nicht grundlegender irren können. Die Ehe mit Rosalia war ein Fehler gewesen, hatte sie beide unglücklich gemacht. Wirklich geliebt hatte er sie nie, sie war nur Mittel zum Zweck gewesen. Sie musste es gefühlt haben.
Sie war erst zwanzig gewesen, jung und schön … und Waise. Ihre Mutter war im Kindsbett gestorben. Das hatte sicherlich auch dazu beigetragen, dass sie nicht hatte schwanger werden wollen. Damals hatte er sich keine Gedanken darüber gemacht. Überhaupt hatte er nur wenig an Rosalia gedacht. Er hatte alle Energien in seine Arbeit gesteckt, um seinem Vater und der Welt zu beweisen, dass er etwas wert war. Der Erfolg hatte nicht lange auf sich warten lassen – genau wie die Tragödie.
Statt Ärger wegen Rosalias Täuschung zu empfinden, fühlte er die Schwere seiner Schuld. Er trug Anteil an der Tragödie, die seine Ehe gewesen war. Freya lebte schon so lange mit Schuld. Sie musste loslassen, und er musste akzeptieren lernen.
Sie beide mussten die Vergangenheit hinter sich lassen und den nächsten Schritt tun. Doch wie konnte er eine weitere Ehe ohne Liebe planen, nur um der Kinder willen, wenn die erste sich als solche Katastrophe erwiesen hatte?
Mit beiden Händen fuhr Rafe sich durchs Haar. Er dachte an Freyas Kuss voller Verzweiflung, an ihre seidige Haut, als sie die Arme um seinen Hals geschlungen hatte. Er hatte ihren Kuss erwidern wollen, doch nicht hektisch und fahrig wie beim ersten Mal. Er wollte sich Zeit lassen und sie richtig lieben.
Sie lieben.
Die Worte ließen ihn stutzen. Konnte er sie lieben? Liebte er sie? Nach der Erfahrung in seiner Ehe war er nicht sicher, ob er
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