Julia Extra Band 369
vorgestellt habe“, wechselte sie deshalb schnell das Thema und deutete auf die Zelte.
„Hattest du denn bestimmte Erwartungen?“
„Natürlich. Ein guter Geologe informiert sich vorher über das Gebiet, in das er reist.“
„Aber du hattest keine Ahnung, dass du in ein Beduinenlager kommen würdest.“
„Man kann nie wissen“, erwiderte sie ausweichend.
„Stimmt. Vor sechs Jahren hätte keiner von uns vermutet, dass du einmal hierherkommen würdest.“
Sie schon … bis er mit ihr Schluss gemacht hatte. Doch sie wollte diese Erinnerungen nicht wieder aufleben lassen. „Und welche Traditionen pflegt ihr noch?“
„Viele.“
Iris sah, was Asad meinte, als er sie in ein großes Zelt in der Mitte des Lagers führte. Ein prachtvoller, mit zwei großen Pfauen in schillernden Farben bestickter Vorhang teilte den für Beduinenzelte typischen Empfangsbereich ab, der hier jedoch ungewöhnlich lang anmutete. Da sie nirgends einen Fernseher entdecken konnte, nahm sie an, dass es sich hier nicht um das Gemeinschaftszelt handelte.
Exquisite Perserteppiche lagen im Hauptteil, und statt Sitzmöbeln gab es prachtvolle Samt- und Damastkissen in leuchtenden, von Goldfäden durchwirkten Blau-, Rot- und Grüntönen. Dazwischen standen niedrige Tische, und während die Außenwände traditionell aus gewebter Ziegenwolle bestanden, fungierten bunte Seidenvorhänge als Raumteiler.
„Hier sollen Russell und ich wohnen?“, erkundigte Iris sich mit einem unguten Gefühl.
Das hier war kein normales Beduinenzelt. Seine Lage und die luxuriöse Ausstattung ließen erahnen, wem es gehörte: Scheich Asad bin Hanif Al’najid.
„ Du wirst hier wohnen. Russell nimmt euer Zelt.“
„Ist es ein Harem oder so etwas?“, erkundigte sie sich.
„Es ist mein Zuhause.“
3. KAPITEL
„Ich werde nicht in deinem Zelt schlafen.“
„Es ist schon alles arrangiert. Dein Bereich ist dahinten.“ Asad deutete auf einen blauen Seidenvorhang. „Meine verstorbene Frau wollte entgegen der Tradition einen abgeteilten Frauenbereich. Du hast also dein eigenes Reich und musst nicht das ganze Zelt mit den anderen alleinstehenden Frauen aus meiner Familie teilen.“
„Mit den anderen alleinstehenden Frauen?“, wiederholte Iris matt.
„Meine Tochter und eine entfernte Cousine.“
„Ich kann nicht hier bei dir schlafen. Ich teile mir ein Zelt mit Russell.“
Dieser Vorschlag gefiel Asad offenbar überhaupt nicht, denn sofort verfinsterte sich seine Miene. „Kommt nicht infrage.“
„Es wäre aber das Sinnvollste.“ Und das Beste für sie.
„Es ist völlig inakzeptabel“, erklärte er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. „Du wirst hier wohnen.“
„Und warum ist es etwas anderes, wenn ich hier bei dir wohne, als wenn ich mir mit Russell ein Zelt teile?“
„Wie ich schon sagte, leben meine Tochter und meine Cousine auch hier, genau wie meine Großeltern.“
„Dein Großvater lebt noch?“, fragte Iris verblüfft.
„Natürlich.“
„Aber du bist der Scheich.“
„Dachtest du etwa, ich hätte meinen Vorgänger töten müssen, um das Amt zu übernehmen? Er ist in den Ruhestand getreten und genießt jetzt seine wohlverdiente Freizeit.“
„In den Ruhestand?“ , wiederholte sie entgeistert. Das klang so … modern . „Das ist …“
„Der Lauf der Dinge“, ließ sich im nächsten Moment eine ältere Frau vernehmen, die mit einem Tablett in Händen hinter dem blauen Seidenvorhang hervorkam.
Sie trug die traditionelle Kleidung der Beduinen, unter anderem ein reich besticktes und mit Perlen verziertes Kopftuch, unter dem einzelne Strähnen ihres weißen Haars hervorschauten. Ihr sonnengegerbtes, faltiges Gesicht war noch immer schön, allerdings heller als Asads und auf europäische Vorfahren hindeutend.
„Darf ich dir Miss Iris Carpenter vorstellen, Großmutter?“ Asad verneigte sich vor ihr, während er mit der Rechten auf Iris deutete. „Iris, meine Großmutter, Lady bin Hanif.“
„Bitte nennen Sie mich Genevieve.“
„Danke. Sie sind gebürtige Französin, stimmt’s?“, erkundigte Iris sich, die sofort den Akzent hatte zuordnen können.
„Stimmt. Allerdings sind meine Vorfahren vor fast zweihundert Jahren in die Schweiz ausgewandert. Ich habe meinen Mann in Paris an der Universität kennengelernt, und er hat mich überredet, meinen Kulturkreis zu verlassen und hier mit ihm bei seinem Stamm zu leben.“ Lächelnd stellte die alte Dame das Tablett auf einen der Tische. „Und ich habe es nie
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