Julia Extra Band 370
von sich. „Nein, noch einmal falle ich nicht darauf herein.“
„Du willst nicht …?“ Verwirrt sah sie ihn an.
„Natürlich will ich! Aber erst möchte ich wissen, warum du wie eine Schlafwandlerin hier herumgeschlichen bist.“
Sie wich seinem Blick aus. „Ich kann manchmal nicht einschlafen, das ist alles.“
„Was belastet dich so sehr, dass es dir den Schlaf raubt, cara ?“ Behutsam hob er ihr Kinn, damit sie ihm in die Augen sehen musste. „Bitte sag es mir. Wenn du es nicht tust, werde ich Nachforschungen anstellen, um es herauszufinden.“
Nur dass nicht! dachte sie panisch. Womöglich würde die Presse Wind davon bekommen. Das konnte sie momentan am allerwenigsten gebrauchen. Die ganze traurige Geschichte würde ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden und nicht nur ihr selbst, sondern auch ihrer Mutter erneut das Leben zur Hölle machen. All die Jahre war es ihrem Vater gelungen, die Tragödie geheim zu halten. Wenn jetzt etwas darüber an die Öffentlichkeit drang, würde die Pressemeute sich daraufstürzen und keine Ruhe geben, bis auch das letzte traurige Detail in den Gazetten stand.
Und wie würde Lachlan reagieren, wenn plötzlich alle Welt wüsste, dass er nur als Ersatz für seinen verstorbenen Bruder gezeugt worden war, um eines Tages das Erbe der Armitages anzutreten?
Natalie befeuchtete sich die Lippen, versuchte Zeit zu schinden, den Mut aufzubringen, sich Angelo anzuvertrauen. „Ich … ich habe einen schrecklichen Fehler gemacht … vor vielen Jahren.“ Verzweifelt biss sie sich auf die Lippe.
„Erzähl mir davon, Natalie“, bat Angelo leise.
Konnte sie es wirklich wagen? Würde Angelo sie je wieder so zärtlich und liebevoll ansehen, wenn er die schreckliche Wahrheit wusste? Wie hatte sie es nur so lange ohne diese Blicke ausgehalten? Nur Angelo hatte sie je so angeschaut.
„Tatty?“
Das gab den Ausschlag. Wenn Angelo sie mit ihrem Kosenamen anredete, konnte sie ihm nicht widerstehen. Angelo wusste genau, wie sie tickte. Er besaß den Schlüssel zu ihrer Seele.
Langsam hob sie den Kopf und fing Angelos liebevollen Blick auf. So wird er dich nie wieder ansehen, dachte sie. Genieße es noch einen Moment!
Sie atmete tief durch. „Ich habe meinen Bruder getötet.“
Verwirrung spiegelte sich in Angelos Miene. „Deinem Bruder geht es gut, Natalie. In der Privatklinik ist er bestens aufgehoben.“
„Ich spreche nicht von Lachlan, sondern von meinem Brüderchen Liam. Er ist ertrunken, als wir in Spanien Urlaub gemacht haben. Er ist nur drei Jahre alt geworden.“
Angelo runzelte die Stirn. „Und wie kann das deine Schuld gewesen sein?“
„Ich sollte auf ihn aufpassen“, erklärte sie ausdruckslos. „Meine Mutter hatte sich im Haus hingelegt. Mein Vater war draußen mit uns am Pool, musste dann aber einen wichtigen Anruf tätigen. Er war nur fünf Minuten weg. Ich sollte auf Liam achtgeben. Das hatte ich vorher schon oft getan. Aber ausgerechnet an diesem Tag war ich einen Moment lang abgelenkt. Ich weiß nicht mehr wodurch. Vielleicht durch eine Blume, einen Schmetterling, einen Vogel – keine Ahnung. Als mein Vater zurückkehrte …“ Sie schluckte, als die Erinnerungen sie wieder einholten. „Es war zu spät.“
„Um Himmels willen! Warum hast du mir das nicht schon vor fünf Jahren erzählt? Du hast nie erwähnt, dass du einen Bruder verloren hast.“
„Das Thema ist in meiner Familie tabu“, erklärte sie leise. „Mein Vater hat strikt verboten, darüber zu sprechen, weil es meine Mutter zu sehr aufregen könnte. Lachlan wurde der Ersatz für Liam. Sowie er auf der Welt war, wurden alle Fotos, Babykleidung und Spielsachen von Liam vernichtet oder verschenkt. Es war, als hätte er nie existiert.“
Angelo zog die völlig am Boden zerstörte Natalie tröstend an sich und wiegte sie beruhigend in seinen Armen. „Dich trifft keine Schuld an Liams Tod“, sagte er leise. „Du warst ja selbst noch ein Kind. Deine Eltern hätten niemals die Schuld auf dich abwälzen dürfen.“
Natalie sah auf und las Verständnis in Angelos Blick – keine Schuldzuweisung, keine Verdammnis. Sie brach in Tränen aus. Weinend suchte sie Zuflucht an Angelos Brust. „Ich habe sofort nach ihm gesucht, als ich merkte, dass er nicht mehr neben mir spielte“, schluchzte sie. „Mehr als einige Sekunden konnten nicht vergangen sein. Ich habe den ganzen Garten abgesucht, ihn aber nicht gefunden. Er lag am Boden des Pools. Ich habe ihn nicht gesehen. Ich habe ihn
Weitere Kostenlose Bücher