Julia Extra Band 370
nicht gesehen.“
„Meine arme kleine Tatty.“ Beruhigend strich er ihr immer wieder übers Haar. „Dich trifft keine Schuld, cara .“
Unter Tränen erzählte Natalie, dass sie hatte mit ansehen müssen, wie Liams kleiner Sarg ins Flugzeug geladen wurde. Wie es auf dem Flug nach England zu schweren Turbulenzen gekommen war. Immer wieder war das Flugzeug abgesackt. Sie hatte solche Panik gehabt, Liam könnte für immer im Meer versinken. Völlig verängstigt hatte sie auf ihrem Sitz gekauert und sich gewünscht, sie wäre statt ihres geliebten Bruders ertrunken. Ihr Vater hatte während des ganzen Fluges kein Wort mit ihr gesprochen. Ihre Mutter hatte vor sich hin gestarrt und einen Drink nach dem anderen hinuntergekippt.
Natalie hatte jedes Zeitgefühl verloren, als sie schließlich den Kopf hob und Angelo aus rotgeweinten Augen ansah. „Ich muss schrecklich aussehen“, murmelte sie.
Er schenkte ihr ein zärtliches Lächeln. „Du bist wunderschön.“
Die Liebe, die sie in seinem Blick las, ließ neue Tränen fließen. „Schwindler“, schluchzte Natalie und wischte sich energisch über die Wangen. „Jetzt weißt du, warum ich sonst nie weine: Ich kann einfach nicht wieder aufhören, wenn ich erst mal angefangen habe.“
„Wein dich ruhig aus, piccola mia .“ Behutsam trocknete er ihr die Tränen. „Steh zu deinen Gefühlen. Das ist viel gesünder, als sie hinunterzuschlucken.“
Natalie rang sich ein Lächeln ab. „Ich sollte mir ein Beispiel an dir nehmen. Obwohl ich zugeben muss, dass ich manchmal ein wenig Angst vor deinen Temperamentsausbrüchen habe.“
„Du bist auch sehr temperamentvoll, cara .“
„Aber nur bei dir.“
Lächelnd umfasste er ihre Hände. „Komm, es wird langsam Zeit, dass du ins Bett kommst. Findest du nicht auch?“
Sein begehrlicher Blick löste sofort ein lustvolles Prickeln in Natalies Magengegend aus. „Willst du …“
Angelo hob sie hoch und trug sie ins Haus. „Klar will ich. Was dachtest du denn?“
Lange, nachdem sie sich zärtlich geliebt hatten und nachdem Natalie ihm verraten hatte, dass sich heute der Todestag des kleinen Liam jährte, lag Angelo nachdenklich neben ihr. Kein Wunder, dass Natalie so verschlossen gewesen war und unter diesem entsetzlichen Albtraum gelitten hatte.
Rätselhaft blieb ihm jedoch das herzlose Verhalten ihrer Eltern, die ihre kleine Tochter für den Tod ihres Bruders verantwortlich gemacht hatten. Es war grausam, eine Siebenjährige so einer enormen Belastung auszusetzen. Was hatten diese Leute sich nur dabei gedacht? Und wo war eigentlich das Personal der Ferienanlage gewesen, als es passiert war? Wieso hatte Adrian Armitage nicht die Hotelleitung für Liams Tod verantwortlich gemacht, statt seiner eigenen Tochter das Leben zur Hölle zu machen?
Was musste die arme Natalie all die Jahre durchgemacht haben? Hätte sie ihm dieses dunkle Geheimnis doch nur eher anvertraut! Er liebte sie von ganzem Herzen und hätte ihr die Welt zu Füßen gelegt. Doch Natalie hatte ihn nie Einblick in ihre Gefühlswelt nehmen lassen. Bis jetzt.
Leider nicht aus freien Stücken.
Angelo betrachtete den Ehering an ihrem Finger. Freiwillig trug sie den auch nicht. Aus Rache hatte er Natalie zur Ehe gezwungen. Süß war diese Rache nicht. Hätte er gewusst, warum Natalie ihn schon vor fünf Jahren nicht hatte heiraten wollen, hätte er niemals zu diesem Mittel gegriffen. Wieso hatte er sich nicht die Zeit genommen, ihren Horror vor der Ehe zu ergründen? Eigentlich hatte er sie damals überhaupt nicht gekannt. Nur ihr Körper war ihm vertraut gewesen. Die Lust, ihn immer wieder zu besitzen, hatte alles andere überdeckt.
Schuldbewusst fuhr er sich durchs Haar. Er hatte alle Lügen geglaubt, die ihr Vater ihm über sie erzählt hatte. Wie konnte er das je wiedergutmachen? Wie konnte er ihr begreiflich machen, dass es einen Ausweg gab, wenn sie ihm nur vertraute? Oder war es dafür zu spät?
Am nächsten Morgen servierte Angelo das Frühstück am Bett. Natalie öffnete die Augen und setzte sich auf. „Ich erwarte nicht, dass du mich bedienst.“
„Es macht mir aber Spaß.“ Lächelnd reichte er ihr eine Tasse Kaffee.
„Danke“, sagte sie, nachdem sie einen Schluck getrunken hatte.
„Gern geschehen.“
„Ich meinte wegen letzter Nacht.“
Angelo setzte sich auf die Bettkante. „Hättest du mir auch ohne die Ereignisse von letzter Nacht irgendwann alles erzählt, Natalie?“
„Vielleicht.“ Sie zuckte die Schultern. „Aber
Weitere Kostenlose Bücher