Julia Extra Band 371
der Tür konnte er sich jedoch nicht zurückhalten. „Und Sie reden noch mit dem König?“
Ohne Antwort schickte Rakhal seinen Berater mit einem Wink fort. Er hatte gesagt, dass er mit dem König sprechen würde, das sollte genug sein.
Und ja, der Kronprinz rief seinen Vater noch am gleichen Tag an. Rakhal war wohl der einzige Mensch in Alzirz, der sich vom König nicht einschüchtern ließ.
„Du wirst auf der Stelle zurückkommen“, verlangte der König. „Das Volk wird unruhig. Die Menschen müssen wissen, dass du dir eine Braut ausgesucht hast. Und bevor ich ins Grab gehe, will ich sicher sein, dass du für einen Erben sorgst. Du kommst zurück und heiratest.“
„Natürlich“, erwiderte Rakhal ruhig. Dem wollte er gar nicht widersprechen. Aber er weigerte sich, nach seines Vaters Pfeife zu tanzen. Beide Männer waren geborene Führungspersönlichkeiten, ließen sich nur höchst ungern sagen, was sie zu tun und zu lassen hatten, und gerieten daher häufiger aneinander. Zudem gab es einen weiteren Grund, weshalb Rakhal auf seinem Standpunkt beharrte und seinem Vater sagte, dass er erst am Montag zurückkommen würde. Sollte er ohne Protest in ein Flugzeug steigen, dann wäre seinem Vater sofort klar, dass es schlecht um ihn stand.
Dass er sterben würde.
Rakhal legte das Telefon beiseite und stützte den Kopf in die Hände. Gerade gestern hatte er ein ausführliches Gespräch mit dem Hofarzt geführt, jetzt wusste er mehr als der König. Sein Vater hatte nur noch wenige Monate zu leben.
Die Gespräche zwischen Vater und Sohn waren schon immer steif und schwierig gewesen. Rakhal war von Dienerinnen aufgezogen worden und hatte seinen Vater nur zu besonderen Gelegenheiten zu Gesicht bekommen. Jetzt allerdings, da die Thronübernahme immer näher rückte, schien sein Vater ihm jeden seiner Schritte vorschreiben zu wollen.
Deshalb zog Rakhal es ja auch vor, in London zu sein, er genoss die Freiheit hier. Frauen redeten hier frei und offen über Sex und erwarteten auch gewisse Dinge von ihrem Partner. Die Stadt gefiel ihm, und durch Zufall hatte er herausgefunden, dass seine Eltern ihn genau hier in diesem Hotel gezeugt hatten. Ein Bruch mit den Wüstenregeln, der nicht nur seine Mutter das Leben gekostet hatte, sondern auch eine Bedrohung für das Land gewesen war, dessen Regent er bald sein würde.
Rakhal stellte sich ans Fenster, sah in den grauen Himmel und auf die regennassen, geschäftigen Straßen.
Aber es war die Wüste, in die er gehörte. Zu der er zurückkehren musste.
Die Wüste rief ihn.
1. KAPITEL
Gelangweilt erklärte die Polizistin Natasha, wie sie das Formular ausfüllen musste.
Sicher war es kein aufsehenerregender Fall der Kriminalgeschichte, dass ihr Auto gestohlen worden war, eigentlich auch keine große Katastrophe. Aber nach den Ereignissen der letzten Zeit hätte Natasha gut die Hände vors Gesicht schlagen und laut losheulen können.
Was sie natürlich nicht tat. Sie erledigte, was erledigt werden musste. Das machte sie jetzt schon seit einem Jahr. Es tropfte aus ihrem langen roten Haar, als Natasha sich über den Schalter beugte, und sich eine regennasse Strähne aus den Augen strich. Ihre Finger waren steif vor Kälte. Wenn man ihren Wagen schon stehlen musste … hätten sie nicht noch zwei Tage damit warten können? Dann hätte sie wenigstens nichts davon gewusst.
Eigentlich hatte Natasha nämlich heute an diesem grässlichen Tag ihren Urlaub planen wollen. Es war der Todestag ihrer Eltern, und sie hatte sich vorgenommen, irgendetwas Besonderes zu diesem Anlass zu unternehmen. Entschlossen, mit ihrem Leben weiterzumachen, hatte sie auf den Rat ihrer Freunde gehört. Sie brauchte dringend einen Tapetenwechsel, es musste ja nicht teuer sein.
Als Vertretungslehrerin war es ein Leichtes für sie gewesen, sich zwei Wochen freizunehmen. Heute hatte Natasha zum Friedhof gehen und danach zu einer Freundin fahren wollen, um dann einen einigermaßen bezahlbaren Urlaub an irgendeinem heißen Flecken auf diesem Planeten zu buchen. Stattdessen stand sie nun in einer zugigen Polizeiwache und bemühte sich, nicht auf die Frau neben sich zu hören, die Anzeige wegen häuslicher Gewalt erstattete.
Die Stimme der Polizistin erstarb plötzlich mitten im Satz. Eigentlich schien jedes Geräusch im Raum zu verstummen. Natasha sah hoch, als die Tür zu einem Nebenzimmer aufging.
Sie verfolgte mit, wie die Wangen der Polizistin rot anliefen, und als sie dem Blick der Frau folgte, wusste sie
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