Julia Extra Band 371
wusste er genau, dass sie sich in den kommenden Tagen ständig an ihn heften würden.
Mit seinen Brüdern hatte er sich ausgesöhnt, und seiner Mutter konnte er keine Vorwürfe machen, denn sie würde immer alles für seinen Vater tun. Mit dem lag es leider immer noch im Argen. Wie gern hätte Archer auch mit ihm endlich Frieden geschlossen, aber sein Stolz und die räumliche Trennung hatten bislang jede Versöhnungsfantasie zunichte gemacht.
Mit etwas Glück wird es bei diesem Besuch anders, dachte Archer hoffnungsvoll.
Callie geriet außer Rand und Band, als ein Tango aus den Lautsprechern ihrer Stereoanlage ertönte. Sie wirbelte, sich in den Hüften wiegend, durchs Wohnzimmer, die Arme ausgestreckt und den Kopf anmutig geneigt.
Seit zwei Stunden putzte sie bereits zu flotter Musik ihre Wohnung, aber es hatte ihr leider nicht geholfen, zu vergessen, was ihr am Nachmittag bevorstand.
Das erste persönliche Treffen mit ihrem besten Kunden. Dem Kunden, den sie für ihre geliebte Firma CJU-Designs auf keinen Fall verlieren durfte – und der sie vermutlich hochkant feuern würde, wenn er herausfand, wer sie war.
Archer Flett hielt nichts von festen Bindungen. Das hatte er ihr vor acht Jahren auf Capri überdeutlich klargemacht. Was würde er jetzt sagen, wenn er herausfand, dass er für seine neue Megakampagne ausgerechnet sie engagiert hatte: die Frau, die er ganz bewusst hatte sitzen lassen, weil sie sich zu nahe gekommen waren.
Callie stieß sich den Zeh am Tischbein und fluchte laut. Warum nur hatte sie sich nicht schon längst überlegt, wie sie mit der Situation umgehen sollte? Hatte sie erwartet, sie würde Archer nie mehr über den Weg laufen?
Ja, genau das habe ich, gestand Callie sich ein.
Vor mittlerweile drei Jahren hatte sie sich darum bemüht, Torquay Tan als Kunden zu gewinnen, ohne zu ahnen, dass diese Firma dem Goldjungen der Surf-Welt gehörte. Der lässige Charmeur, in den sie sich vor acht Jahren verliebt hatte, besaß also genügend Geschäftssinn, um eine riesige Firma zu besitzen – und zu leiten. Das hatte sie überrascht.
Nun bot sich ihr die Chance, den größten Coup ihrer Laufbahn zu landen und die Surfschule zu promoten, die Archer in seinem Heimatort Torquay gegründet hatte.
Dazu musste sie ihn treffen. Ihm von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten.
Sie hätte sich damit zufriedengeben sollen, weiterhin nur kleinere Aufträge für ihn als Online Marketing Managerin zu betreuen. Aber sie brauchte Geld. Dringend. Ihre Mutter war völlig auf sie angewiesen.
Die leidenschaftlichen Tangoklänge riefen Erinnerungen in Callie wach – und Sehnsucht. Nach der Zeit, als sie die ganze Nacht am Strand unter dem Sternenhimmel getanzt hatte. Als sie von Pasta und billigem Chianti gelebt hatte. Als sie ihrer ersten großen Liebe begegnet war: Archer Flett.
Die Musik verklang, und bei Callie meldete sich der gesunde Menschenverstand zurück. Sie hatte keine Zeit mehr für sentimentale Erinnerungen, für große Liebe und unerfüllbare Träume.
Seit sie mit ansehen musste, wie ihre Mutter die Hölle auf Erden durchmachte, war es mit solchem Schmu vorbei.
Callie hatte schon immer gefunden, dass sie nach ihrem heißblütigen italienischen Vater geraten war. Auch sie war optimistisch und impulsiv, sie aß gern, zog sich gern schick an und flirtete gern. Diese Eigenschaften hatte sie immer für bewundernswert gehalten, bis sie miterleben musste, wie die Kehrseite der Medaille aussah: Der Egoismus ihres Vaters war einfach grenzenlos.
Von da an hatte sie aufgehört, wie er sein zu wollen. Von großer Leidenschaft und blindem Verlieben hielt sie nichts.
Nicht mehr.
Natürlich ging sie noch mit Männern aus, und es machte ihr Spaß. Aber sie ließ niemanden zu nahe an sich heran.
Nicht so nahe, wie Archer ihr gewesen war.
„Zum Teufel mit Archer Flett!“, fluchte Callie und trat gegen das Tischbein.
Wie es aussah, hatte das energische Putzen ihr nicht wirklich geholfen, Dampf abzulassen. Nun musste sie das zweitbeste Mittel wählen, um sich auf das Treffen innerlich einzustellen. Sie würde lange duschen, die Haare tipptopp föhnen, perfektes Make-up auflegen und ein Businesskostüm vom Feinsten anziehen.
Archer sollte nicht glauben, dass er nach all den Jahren noch Eindruck auf sie machte oder sie aus der Ruhe brachte.
Das tat er nämlich nicht.
Jedenfalls nicht sehr.
Das winzige Büro von CJU-Designs überraschte Archer nicht. Computerleute brauchten nicht viel Raum, um gute
Weitere Kostenlose Bücher