Julia Extra Band 371
wussten. Später fand ich heraus, dass er überall herumerzählt hatte, dass ich … dass er nicht bekam …“ Sie errötete und wurde still.
„Wie schrecklich. Ich hatte ja keine Ahnung“, erwiderte Dario grimmig.
„Ich bin noch immer überrascht, dass Antonia dir nichts davon erzählt hat“, sagte Josie und entfernte sich vom Buffettisch. Dario folgte ihr durch das Gedränge.
„Zwar verstehe ich mich mit meiner Schwester sehr gut, aber das bedeutet nicht, dass ich mit ihr über alles spreche.“ Er führte Josie von der Menge weg, die sich noch immer im Buffetraum drängte.
Im Ballsaal atmete Josie erleichtert auf, dann blickte sie Dario zweifelnd an. „Hm, das klingt nach Geheimnissen.“
„Ich und Geheimnisse?“ Dario verschränkte die Arme vor der Brust und wippte auf den Zehenspitzen. „Ich bin wie ein offenes Buch und trage keine Geheimnisse mit mir herum.“ Trotz seines unschuldigen Tonfalls zuckte es verdächtig um seine Mundwinkel, was seine Worte Lügen strafte.
„Da bin ich mir nicht so sicher“, murmelte Josie. Sie dachte an das, was er ihr bereits aus seiner Vergangenheit erzählt hatte.
Langsam schlenderte Dario neben ihr her. Sie verließen den Saal durch die breiten Flügeltüren und gingen an der Ahnengalerie vorbei. „Lass uns das Thema wechseln. Wie gefällt dir der Aufenthalt? Ich meine, abgesehen von der Arbeit.“
„Ich genieße jede Minute hier“, antwortete Josie wahrheitsgemäß. Allein mit Dario durch dieses imposante Castello zu gehen kam ihr wie ein Traum vor, und es war fast zu schön, um wahr zu sein. „Es ist großartig und völlig anders als alles, was ich bisher gesehen und erlebt habe.“ Josie schüttelte begeistert den Kopf, sodass ihre Diamantohrringe, die Antonia ihr geliehen hatte, leise klimperten.
Nachdenklich schaute Dario sie mit seinen dunklen Augen an. Er spürte, dass sie heute Nacht mit ihm schlafen würde, wenn er es wollte. Doch plötzlich sehnte er sich nicht mehr nur nach ihrem Körper. Dario wollte ihr etwas zeigen, das er vor anderen Menschen verborgen hielt. Aus einem Impuls heraus sagte er: „Komm, ich zeige dir, woran ich heute gearbeitet habe.“ Er nahm Josie das Glas und den Teller aus den Händen und stellte das Geschirr in einer Fensternische ab. Dann bot er ihr galant den Arm, und mit klopfendem Herzen hängte Josie sich bei ihm ein. Mit einem triumphierenden Lächeln führte er sie hinaus in die laue Sommernacht. Sie gingen an dem alten Aprikosenbaum vorbei und weiter zu seinem privaten Atelier.
9. KAPITEL
„Wow! Das machst du also!“, entfuhr es Josie, als Dario die Tür zu dem kleinen Gebäude öffnete, das ein wenig abseits vom Castello stand.
Dario hatte künstlerisches Talent. Das konnte sie schon von der Schwelle aus erkennen. Seine Werke waren überall. Abstrakte Malereien und Stillleben hingen an den Wänden, standen auf Staffeleien oder lehnten wie zu Kästen zusammengestellt aneinander. Sein Gespür für Farb- und Bildkompositionen war beeindruckend. Er beherrschte sein Handwerk meisterlich.
„Komm rein! Vom Eingang aus kannst du längst nicht alles sehen.“
Er legte ihr einen Arm um die Schulter und führte sie in sein Atelier. Seine Berührung brachte Josie ganz durcheinander, doch schnell gewann ihre Neugier die Oberhand. Sie trat vor eine der Staffeleien und betrachtete ein halbfertiges Werk, das Josie an die expressionistischen Bilder von Mark Rothko erinnerte.
„Das sieht unglaublich professionell aus. Kann man deine Bilder auch kaufen?“
„Nein, ich male nur für mich. Du hingegen könntest jedoch wirklich etwas aus deinem Talent machen!“
Josie lächelte verlegen. Dann fiel ihr plötzlich etwas ein. „Herrje, ich habe ja ganz vergessen, mich für die Kiste mit den Malutensilien zu bedanken, die du mir geschickt hast.“ Sie drehte sich zu ihm um. Aus einem spontanen Impuls heraus stellte sie sich auf Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke, Dario!“
„Gern geschehen.“ Dieser Abend entwickelt sich in vielerlei Hinsicht in die richtige Richtung, dachte Dario und lächelte. Keine andere Frau hatte ihm seit Ariettas Tod dieses einzigartige Gefühl von Lebendigkeit gegeben. Kein Wunder, dass er sich seit dem ersten Moment ihrer Begegnung von Josie wie magisch angezogen gefühlt hatte. Diese unbeschwerten Augenblicke mit ihr auf der Waldlichtung waren so wunderbar gewesen – zumindest bis ihm Ariettas Namen herausgerutscht war. Damit hatte er alles zunichte gemacht. Doch
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