Julia Extra Band 372
Lampen tauchten den Tunnel in ein warmes Licht, in dem J. C. zwischen den Bäumen hervorkam. „Gibst du auf?“, rief Grace.
„Niemals.“
Die Weihnachtsmusik spielte, und die Boote zogen unter Mistelzweigen ihre Runden. In der Dunkelheit der Küsse-unterm-Mistelzweig – Bahn war die Welt von Beckett’s Run unendlich weit entfernt. Ein Teil von Grace wünschte sich, für immer hierbleiben zu können und den Job, die Familie und das Leben zu vergessen, die draußen auf sie warteten.
Sie hörte ein Rascheln, und bevor sie reagieren konnte, schloss sich J. C.s Hand um ihren Arm. „Jetzt hab ich dich aber! Und lass dich nicht mehr los.“
„Versprichst du das?“ Sie sagte es, als wäre es nur ein Witz. Und dennoch wartete sie gespannt auf seine Antwort.
„Das dürfte praktisch kaum zu machen sein“, meinte er scherzhaft.
„Sagte der vernünftige Mann.“ Sie zwang sich, trotz ihrer Enttäuschung unbeschwert zu klingen.
„Ich war beileibe nicht immer vernünftig“, entgegnete er. „Besonders wenn es um dich ging.“
Zu gerne hätte sie ihn gefragt, wie er das meinte. Ob es etwas Gutes bedeutete oder nicht. Doch sie fürchtete seine Antwort, und so genoss sie einfach den Augenblick, der sie und J. C. wieder zusammengeführt hatte.
Sie verzehrte sich nach ihm wie schon immer.
„Ach, Grace“, sagte er mit belegter Stimme. Diese beiden Worte verrieten ihr dasselbe Verlangen, dasselbe Begehren, das sie erfüllte. Sie hielt die Luft an, und dann endlich tat J. C., was sie sich schon gewünscht hatte, seit sie mit ihrem Wagen in dem Schneehaufen am Fahrbahnrand gelandet war.
Langsam beugte er sich zu ihr, mit dem Kopf einem Mistelzweig ausweichend, und küsste sie. Seine Lippen berührten ihre, und es durchfuhr sie wie ein elektrischer Schlag. Ein Kurzschluss im Kopf, ihr Verstand versagte. J. C. legte seine Hände um ihr Gesicht, und die Zärtlichkeit dabei war so ganz anders als die heiße Leidenschaft seines Kusses. Grace fühlte sich geliebt und begehrt, und sie wollte, dass es nie aufhörte.
Sie schmiegte sich an ihn. Neben ihnen gondelten die Boote auf ihrer beschaulichen Bahn, doch sie achtete nicht darauf. Sie umarmte J. C. und presste sich an ihn. Er stöhnte und fuhr mit der Zunge in ihren Mund. Ihre Knie wurden weich. Sie strich ihm durch die Haare und wollte …
Mehr. Von ihm.
Sie hatte keine von J. C.s Berührungen vergessen und erinnerte sich genau, wie er sie geliebt hatte, langsam und intensiv. Wie er sie überall geküsst hatte. Wie er ihre nackte Haut berührt und ihre Leidenschaft entzündet hatte. Sie hatten gemeinsam ihre ersten Erfahrungen gemacht und sich jeden Sommer weiter vorangetastet, bis sie schließlich …
Grace wich so abrupt zurück, dass sie fast einen der Bäume umgestoßen hätte. Was machte sie nur? Wünschte sie sich tatsächlich diese längst vergangenen Zeiten zurück? Hatte sie etwa nichts aus der Vergangenheit gelernt? Mit ihr und J. C. war es nicht gut gegangen, und das würde es auch nie. Jeder Kuss würde den anschließenden Schmerz nur vergrößern.
„Wir … wir dürfen das nicht.“ Sie atmete keuchend ein und aus.
„Was machen wir denn deiner Meinung nach?“
„Wir versuchen, eine längst vergangene Zeit wiederzubeleben. Aber das geht nicht.“ Sie stieg in das erste vorbeiziehende Boot, um aus dem Tunnel der Liebe wieder herauszukommen. J. C. folgte ihr auf der seitlichen Plattform.
„Du läufst schon wieder davon, Grace.“
„Das mache ich nicht.“ Sie war nie vor ihm davongelaufen. Er war es doch gewesen, der sich von ihr getrennt hatte. Hatte sein Vater nicht erklärt, J. C. werde glücklicher ohne sie? Und sie ohne ihn? „Ich bleibe nur nicht.“
„Das ist dasselbe.“
Sie fuhr herum zu ihm. Der Schmerz von damals erschütterte sie. Wir hatten gemeinsame Pläne, wollte sie ihm zurufen. Du wolltest immer für mich da sein. Ich habe mich auf dich verlassen. Und du hast mich enttäuscht. Doch sie brachte nichts davon heraus.
Grace hastete aus dem Tunnel, zurück in die kalte Wintersonne.
J. C. trat in das Haus seiner Mutter ein und hoffte, etwas möge anders sein als in den letzten Wochen. Doch kein Essensgeruch stieg ihm in die Nase, und er hörte keine Stimmen außer aus dem Fernseher. Seine Mutter sah wieder einen jener furchtbaren Filme, denen sie seit einiger Zeit verfallen war, und Henry spielte auf dem Wohnzimmerteppich mit seinen Bauklötzen. Was er baute, ließ sich nicht genau erkennen, irgendetwas Hausartiges, vielleicht
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