Julia Extra Band 372
ständig diese Filme schaust. Es ist Weihnachten, Mom. Deine Lieblingszeit, und du hast noch nicht einmal davon gesprochen, den Baum aufzustellen.“
„Es ist alles so anstrengend und …“
„Und das ist eine Ausrede. Aber ich kann den Baum auch alleine aufstellen, wenn dir das lieber ist.“
„Ich bin einfach nicht in der Stimmung für die Feiertage.“ Sie schaute an ihm vorbei in die Ferne. In eine Vergangenheit, die nicht mehr wiederkommen würde. Als sie stumm blieb, gab J. C. den Fernseher wieder frei. Er hatte es zumindest versucht.
„Ist schon gut“, sagte er. „Ich erledige es am Wochenende.“
Von all dem ahnte Grace nichts, wenn sie ihn unschuldig aufforderte, so verrückt und abenteuerlustig zu sein wie früher und Spaß zu haben.
J. C.s Mutter erhob sich müde und trat zu ihm. „Du sorgst für mich, dabei sollte es doch andersherum sein.“
„Es macht mir nichts aus. Betrachte es als Rückzahlung für all die dreckige Wäsche meiner Kindheit.“
Die Augen seiner Mutter leuchteten auf, und zum ersten Mal seit langer Zeit fasste J. C. wieder Hoffnung. „Und du hattest ganz schön viel dreckige Wäsche für einen kleinen Jungen.“
Er sah sie verschmitzt an. „Ein Junge zu sein, ist ein dreckiges Geschäft.“
Sie sah zu Henrys Bausteinen. „Er erinnert mich sehr an dich. Die Art, wie er die Welt sieht und etwas erschaffen und bauen will. Er ist auch genauso impulsiv wie du.“
Und wie bei mir wird auch bei ihm wenig von seiner impulsiven Seite übrig bleiben, dachte J. C. melancholisch.
„Henry ist ein toller Junge.“ J. C. hatte sich daran gewöhnt, seinen Neffen jeden Tag um sich zu haben, und er wurde traurig bei dem Gedanken an seine Rückkehr nach Boston. Wiederholt hatte er seiner Mutter vorgeschlagen, zu ihm zu ziehen. Vergeblich. Sie liebte Beckett’s Run und würde niemals fortziehen.
„Ja, das ist er: ein toller Junge. Und er verdient etwas mehr Aufmerksamkeit. Du hast recht, J. C.“ Seine Mutter nickte entschlossen, als würde sie ihre Trauer ein Stück weit hinter sich lassen. „Vielleicht können wir die Tage ein paar Lichter aufhängen und das Wohnzimmer schmücken.“
„Wunderbar.“ Es war ein Anfang. Das reichte J. C. erst einmal. Er nahm die Hand seiner Mutter und sah ihr in die Augen. „Ohne dich wäre Weihnachten nie das schöne Fest gewesen, das es war. Nur durch dich wurde dieses Haus zu einem Zuhause, selbst an Tagen, an denen es eher wie ein …“ Er beendete seinen Satz nicht.
„Wie ein Gefängnis war.“ In Annes Gesicht zeigte sich ihre Liebe, und sie legte ihm eine Hand an die Wange. „Dein Vater war ein harter Mann, ich weiß.“
J. C. wollte all das nicht mehr aufwühlen. Es lag schon zu lange zurück, vor allem aber ließ es sich nicht mehr ändern.
Er dachte daran, wie er vorhin Grace geküsst hatte, und fragte sich zum ersten Mal seit langer Zeit, was geschehen wäre, wenn es mit ihnen beiden funktioniert hätte. Wenn sie sich wie geplant aufgemacht hätten, er mit seiner Gitarre, sie mit Stift und Papier. Ob sie wohl noch glücklich wären?
„Du musst dich nicht entschuldigen, Mom. Aus uns ist schließlich etwas geworden. Und jetzt müssen wir dafür sorgen, dass auch aus Henry etwas wird. Er hat niemanden außer uns, und er hat ein wunderbares Weihnachtsfest verdient.“
In Annes Augen schimmerten Tränen. Sie nickte. „Das hat er.“ Dann legte sie ihre Hand auf J. C.s. „Der Baum ist schon draußen. Warum bringst du ihn nicht rein? Und ich mache uns Dinner.“
6. KAPITEL
Grace wälzte sich fast die ganze Nacht schlaflos im Bett hin und her. Fluchend stellte sie fest, dass ihre Gedanken immer wieder zu J. C. zurückkehrten. Wie er sich um den Sohn seiner Schwester kümmerte. Wie er sich verändert hatte. Vor allem aber wie er sie geküsst hatte.
Ein Kuss, der in ihr dieselbe Leidenschaft entfacht hatte wie früher.
Ein Grund mehr, nur so lange in Beckett’s Run zu bleiben, bis sie eine Story gefunden hatte, mit der sie ihrer Karriere neuen Schwung geben konnte. Und das würde ihr hoffentlich gelingen, ehe jemand von ihrer Familie in Beckett’s Run eintraf.
Ihre Grandma war in die Kirche gegangen und hatte Grace eine Schüssel voller Blaubeermuffins auf den Küchentisch gestellt. Hungrig biss sie in einen, während sie ihre Notizen vom vorherigen Tag durchging.
Was taugte als Aufhänger? Wo verbarg sich die einzigartige Geschichte? Nichts in ihren Notizen ging über das Klischee eines Weihnachtsfests in einer Kleinstadt
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