Julia Extra Band 374
Wunschdenken. Antonio hatte sie bestimmt schon längst vergessen. Sie dagegen wurde die Erinnerungen an die wunderschönen Monate, die sie bei ihm verbracht hatte, nicht los.
Antonio entstammte nicht nur einer reichen Industriellenfamilie Roms, er sah auch blendend aus – er war der Traum einer jeden Frau. Als er sie im Frühjahr eines Morgens völlig überraschend und kommentarlos aus seinem Bett hatte befördern lassen, hatte die Nächste bestimmt schon vor der Tür gestanden.
Jetzt nur nicht weinen! Isabella riss sich zusammen, schluckte die Tränen hinunter und blickte auf die Uhr. Bis zum Ende ihrer Schicht dauerte es noch Stunden. Einfach freizunehmen, sich ins Bett zu legen und die Decke über den Kopf zu ziehen, konnte sie sich nicht leisten. Sie brauchte jeden Euro, den sie in diesem schäbigen Straßencafé verdiente.
„Isabella, wie lange willst du eigentlich die Gäste an dem kleinen Ecktisch noch warten lassen?“, herrschte ihr Chef sie an.
Zu müde, um sich zu rechtfertigen, schloss sie kurz die Augen. Sie würde den Rest des Tages schon überstehen, sie musste sich einfach auf ihre Arbeit konzentrieren und eins nach dem anderen erledigen.
Langsam ging sie zu dem Tisch mit dem jungen Paar, das sie noch gar nicht vermisst zu haben schien, denn sie küssten sich und turtelten verliebt. Isabella biss sich auf die Lippe. Wie sehr sie die beiden beneidete, wie sehr sie Antonios leidenschaftliche Küsse vermisste! Doch sie machte sich keine Illusionen: Antonio würde sie niemals zurückhaben wollen – nicht, wenn er die Wahrheit erfuhr.
Je eher sie sich also die wunderbare Zeit, die sie zusammen verbracht hatten, aus dem Gedächtnis strich, desto besser.
Mit heiserer Stimme fragte sie die Gäste nach ihren Wünschen. Obwohl sie im College Italienischkurse belegt hatte, waren ihre Sprachkenntnisse immer noch lückenhaft, und die sprachlichen Probleme machten ihr den Arbeitsalltag noch schwerer.
Es hatte eine Zeit gegeben, da war sie sich sicher gewesen, die Sprache bald perfekt zu beherrschen, da hatte sie davon geträumt, mit ihrem Charme und ihrer Intelligenz Rom im Sturm zu erobern. Abenteuer, eleganter Lebensstil und Liebe, alles, wonach sie sich sehnte, schien sie erreicht zu haben.
Doch sie hatte ihr Glück verspielt.
Jetzt arbeitete sie in diesem erbärmlichen Straßencafé und besaß kein Geld. Wenn die Leute sie überhaupt wahrnahmen, dann als billig gekleidete und unscheinbare Bedienung, die man schikanieren konnte. So viel zu ihren Träumen.
Um so zu leben, hätte sie nicht nach Rom kommen müssen, das hätte sie auch in Amerika haben können – und dort hätte sie wenigstens verstanden, was die Leute hinter ihrem Rücken über sie lästerten.
Hier wohnte Isabella in einem kleinen Zimmer über dem Café, das sich nicht abschließen ließ und in dem es keine Waschgelegenheit gab. Sie besaß nichts – außer einem dunklen Geheimnis und einem starken Überlebenswillen.
Isabella notierte die Bestellung und ging damit zur Küche. Sie würde noch mehr und härter arbeiten müssen, um in absehbarer Zeit das Geld für ein Ticket nach Amerika zusammenzubekommen. Sie sehnte sich nach ihrer Heimat, nach einer Welt, die ihr vertraut war und deren Spielregeln sie kannte. Dort würde es ihr gelingen, sich eine Lebensgrundlage zu schaffen und ihr Studium erfolgreich abzuschließen.
Die Zeit der hochfliegenden Träume und großen Abenteuer war vorbei, ein sicherer Hafen schien ihr nun das größte Glück.
Doch die Zeit arbeitete gegen sie, denn sie würde sich nicht mehr lange so hart fordern können. Verzweifelt lehnte sie die Stirn gegen die Küchenwand und versuchte, die vulgären Schimpfworte ihres Chefs zu überhören.
Ganz bestimmt würde sie das Geld für den Flug aufbringen können, zurück in der Heimat würde sie einen Neuanfang wagen und alles besser machen. Sie hatte aus ihren Fehlern gelernt, das war das einzig Positive, was sich über die vergangenen Monate sagen ließ.
Antonio Rossi betrachtete das ärmliche Straßencafé in dem ebenso ärmlichen Viertel seiner Heimatstadt. Endlich würde er ihr gegenüberstehen: der Frau, die ihn und seine Familie beinahe in den Ruin getrieben hätte.
Er ging auf einen leeren Tisch zu, setzte sich und versuchte, sich auf die bevorstehende Auseinandersetzung vorzubereiten. Diesmal würde er sich nicht durch Isabellas unschuldige blaue Augen und ihre zerbrechliche Schönheit täuschen lassen. Diesmal würde er die Oberhand behalten.
Er
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