Julia Extra Band 374
finden, an dem sie sich in einem absoluten Tief befand?
„Ich weiß nicht, weshalb du dir die Mühe gemacht hast, nach mir zu suchen. Du bildest dir doch ein, ich hätte mit dir und deinem Bruder gleichzeitig geschlafen.“
„Das hat mit Einbildung nichts zu tun, es ist eine Tatsache. Du warst seine Geliebte, und deshalb hat er dich in seinem Testament bedacht.“
Isabella schwieg. Sie hatte einen Fehler gemacht, das konnte sie nicht abstreiten. Sie hatte Giovanni falsch eingeschätzt, hatte ihn für einen echten Freund gehalten, für einen Menschen, der zu ihr stand und ihr in einer Notlage half. Seinen wahren Charakter hatte sie erst erkannt, als es bereits zu spät war.
„Lass mich zufrieden, Antonio. Du hast keine Ahnung, was gelaufen ist.“
„Ich gehe sofort – allerdings nur mit dir zusammen. Du musst bei einem Notar mehrere Unterschriften leisten.“
Nur das nicht! Antonio wollte nur eins, sie demütigen und sich an ihr rächen, das war ihm anzusehen. Diese Genugtuung würde sie ihm nicht gönnen, so viel Kampfesgeist besaß sie noch.
„Erzähl deiner Familie, du hättest mich nicht gefunden, und spende das Geld für einen wohltätigen Zweck.“ Erleichtert fühlte sie, wie er die Hand von ihrer Schulter gleiten ließ.
Ungläubig sah er sie an. „Du scheinst nicht zu wissen, um welchen Betrag es sich handelt.“
„Das spielt auch keine Rolle, ich will kein Geld.“ Sie hätte es zwar gut gebrauchen können, aber nicht, wenn es von Giovanni kam. Bestimmt war es mit hinterhältigen Auflagen verbunden – aus reiner Menschliebe verschenkte ein Mann wie er nicht einmal einen einzigen Cent.
„Isabella!“, schrie der Wirt aus der Küche. „Muss ich dir erst Beine machen?“
Sie drehte sich so hastig um, dass ihr schwarz vor Augen wurde. Sie schwankte und hielt sich in ihrer Not an Antonio fest.
„Ist dir nicht gut?“ Wie durch dichten Nebel drang seine Stimme zu ihr.
„Ich … ich habe letzte Nacht schlecht geschlafen“, erklärte sie, ohne ihn dabei anzusehen. Er sollte nicht merken, wie schlecht es ihr in Wirklichkeit ging, denn es war ihr nicht entgangen, wie durchdringend er sie die ganze Zeit musterte. Antonios untrügliche Instinkte hatten ihn zu einem der erfolgreichsten Geschäftsmänner Italiens werden lassen, und wenn sie noch länger blieb, würde er die Wahrheit bald herausfinden.
„Lass mich schnell bedienen, dann haben wir Zeit füreinander“, beschwichtigte sie ihn und eilte in Richtung Küche.
Nachdem sie serviert hatte, brachte sie das Tablett an den gewohnten Platz neben der Küchentür zurück. Isabella wusste, dass Antonio von seinem Tisch aus sie hier nicht sehen konnte. Schnell duckte sie sich, rannte durch den Lieferanteneingang auf die Straße, um von hinten wieder ins Haus und in ihre Wohnung über dem Café zu gelangen.
Trotz der stechenden Schmerzen in der Brust verlangsamte sie ihr Tempo nicht und hastete zwei Stufen auf einmal nehmend die Treppe hinauf. Ausruhen konnte sie später, jetzt musste sie alles geben, um Antonio zu entkommen. Mittlerweile musste er ihre Abwesenheit bestimmt schon bemerkt haben.
Sie riss die Tür auf und griff ihren Rucksack, der auf der klumpigen Matratze des schmalen Bettes lag. Sie hatte den Schulterriemen noch nicht ganz in der Hand, als hinter ihrem Rücken die Tür mit lautem Knall ins Schloss fiel.
Im Zeitlupentempo drehte Isabella sich um. Ruhig atmend lehnte Antonio lässig am Türrahmen.
„Du enttäuschst mich, Bella.“ Zynisch musterte er sie von Kopf bis Fuß. „Wo ist deine Erfindungsgabe geblieben? Im Gegensatz zu früher sind deine Einfälle ausgesprochen fantasielos.“
„Ich … ich …“ Rote Kreise tanzten ihr vor den Augen, ihre Glieder fühlten sich an wie Blei und ihr Mund war ausgetrocknet.
Antonio richtete sich auf und kam auf sie zu. „Schluss jetzt mit deinen Spielchen, du führst mich nicht länger an der Nase herum. Komm!“
Seine letzten Worte verklangen ungehört. Ohnmächtig sank Isabella in sich zusammen.
2. KAPITEL
„Bella!“ Noch ehe Isabella sich hätte verletzen können, fing Antonio sie auf.
Wie leicht sie war und wie zerbrechlich!
Vorsichtig ließ er sie auf die Matratze gleiten, kniete sich dann neben das Bett und strich Isabella das Haar aus dem erschreckend blassen Gesicht. Unter ihren geschlossenen Augen lagen bläuliche Schatten.
Er richtete sich etwas auf und blickte sich in dem winzigen Raum um. Von den Wänden blätterte die Farbe, und es roch nach abgestandenem
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