Julia Extra Band 375
unerfindlichen Grund der Zauber des Hotels nicht zu wirken. Sie fühlte sich wie in einem Beiboot auf stürmischer See, und weit und breit war kein rettendes Land in Sicht.
Vielleicht sollte sie ja erst einmal ein schönes heißes Bad nehmen und hinterher eine Tasse Tee trinken, dann …
„Justina.“
Sie erstarrte, als sie hinter sich die Stimme hörte, die sie seit siebeneinhalb Monaten bis in ihre Träume verfolgte. Sie schüttelte den Kopf. Unmöglich! Das bildete sie sich nur ein. Sie musste es sich einbilden!
Als sie sich langsam umdrehte, fiel ihr Blick auf die dunkle, bedrohliche Gestalt von Dante D’Arrezzo. Ihr Herz flatterte wild in ihrer Brust. Nein. Das war kein Traum, sondern Wirklichkeit. Das war unverkennbar Dante, vibrierend vor Leben. Er trug einen makellosen hellen Leinenanzug, aber auf seinem Gesicht spiegelte sich nackte Wut.
Seine hohen Wangenknochen traten noch deutlicher hervor als normalerweise, der Mund war zu einem grimmigen Strich zusammengepresst. Justina konnte sich nicht erinnern, ihn jemals so gesehen zu haben. Er stand reglos da, bis auf eine kleine Ader, die an seiner Schläfe pochte. Einen Moment lang befürchtete sie fast, ohnmächtig zu werden, so schockiert war sie über sein unerwartetes Auftauchen. Er bekam es mit und streckte in weiser Voraussicht die Hand nach ihrem Unterarm aus, was sich fast anfühlte, als würden seine heißen Finger ihre Haut versengen. Viel schlimmer jedoch war, dass ihr Körper schlagartig Erregung signalisierte, obwohl es eher die Berührung eines Kidnappers war als die eines Geliebten.
„Was … was machst du hier?“, stieß sie hervor.
Dantes Herz klopfte schneller vor Wut, als er ihr in das wachsbleiche Gesicht starrte. Was glaubte sie wohl, was er hier machte? Urlaub in Fernost vielleicht, um ihr dabei rein zufällig über den Weg zu laufen? Und sie gut gelaunt auf einen Singapore Sling an die Bar einzuladen?
„Wir müssen reden“, knurrte er.
Justina biss sich auf die Unterlippe. Vielleicht sollte sie einfach laut schreien und behaupten, dass er sie, eine Hochschwangere, belästigt hätte? Wäre das nicht schockierend? Und dann? Würde man ihm Hausverbot erteilen oder vielleicht sogar die Polizei holen?
Schwer zu sagen. Dante war äußerst redegewandt und hatte immer eine gute Ausrede parat. Wahrscheinlich schaffte er es im Handumdrehen, den Sicherheitsdienst des Hotels von sich zu überzeugen und sie als Hysterikerin hinzustellen.
„Nicht hier“, sagte sie gepresst. „Wir können in der Writers’ Bar einen Kaffee trinken und …“
„Nein“, unterbrach er sie schroff. „Ich habe nicht die Absicht, diese Diskussion in der Öffentlichkeit zu führen, Justina. Ich bestehe darauf, dass wir auf dein Zimmer gehen.“ Als er den Ausdruck sah, der über ihr Gesicht huschte, verzog er verächtlich den Mund. „Keine Sorge, ich will nichts von dir, das kannst du mir ruhig glauben, du kleines Miststück.“
Justina schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund. Hasste er sie wirklich so sehr? Doch selbst wenn, hatte er noch lange kein Recht, in diesem Ton mit ihr zu reden.
Aber reden musste sie mit ihm, das war sie ihm schuldig. Das war ihr bewusst, auch wenn das jetzt genau die Situation war, vor der sie sich seit Monaten fürchtete. Und der Grund dafür, dass sie so viele mit Reisen verbundene Verpflichtungen übernommen hatte, seit sie von ihrer Schwangerschaft wusste. Genau betrachtet, war sie seit Monaten vor ihm auf der Flucht gewesen. Sie war vor dem Unvermeidlichen davongelaufen, das sie jetzt eingeholt hatte.
Sie zuckte die Schultern. „Na schön, reden wir. Aber es wäre nett, wenn du mich vorher loslassen würdest.“ Dabei schaute sie betont erst auf seine Hand, die immer noch ihren Unterarm umschloss, dann in seine harten glitzernden Augen. Schrecklich war nur, dass sie es mochte , von ihm angefasst zu werden, ja, sie kostete seine Berührung richtiggehend aus. Und zwar so sehr, dass sie, als er sie losließ, ein Gefühl von Verlust verspürte, wie sie sich zu ihrer eigenen Schande eingestehen musste. Als sie sich umdrehte und auf die Treppe zuging, waren ihre Schritte leicht unsicher.
Justina war sich der Blicke bewusst, die ihnen folgten, als sie die Eingangshalle durchquerten. Wahrscheinlich gab es im ganzen Foyer keine einzige Frau, die dem hochgewachsenen attraktiven Mann, der im Gegensatz zu der jämmerlich durchnässten Gestalt an seiner Seite in seinem hellen Leinenanzug so elegant und makellos wirkte, nicht
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