Julia Extra Band 375
erwiderte nichts darauf, denn sie kannten beide die Antwort. Charles ging es um Zahlen, nicht um Gefühle; das hatte er selbst gesagt.
Und doch hörte er sich gerade an, was sie bedrückte. „Ich sollte nicht so jammern, sondern froh über das sein, was ich habe. Schließlich geht es nicht um Leben und Tod, sondern nur um die Gebühren für eine Privatschule.“
„Sie wollen das Beste für Ihren Sohn. Das Beste zu wollen ist nie verkehrt, wie Sie wissen.“
„Stimmt“, antwortete sie mit einem Schmunzeln. „Andrew musste in seiner Kindheit so viel entbehren. Kein Vater, keine Großeltern, deshalb will ich, dass er jetzt alle Möglichkeiten hat, die ich nie hatte.“
Verständnisvoll nickend fragte Charles: „Was, wenn Sie die Gehaltserhöhung doch bekämen?“
„Wie meinen Sie das?“
„Ich meine, dass ich Ihnen die Gehaltserhöhung gebe. Ich werde es heute Nachmittag veranlassen.“
Das ist nicht möglich. Charles Bishop würde seine Entscheidung nicht einfach revidieren und mir doch noch eine Gehaltserhöhung geben. Solche Dinge gibt es nicht.
„Ich bewundere, was Sie für Andrew tun. Außerdem“, er stand auf, „betrachte ich es als eine Investition. Schließlich könnte es sich eines Tages als nützlich erweisen, einen zukünftigen NHL-Star zu haben, der in meiner Schuld steht.“
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“ In ihrem Hals steckte ein riesiger Kloß und machte ihr das Sprechen unmöglich, sie konnte nur lächeln und wischte sich ein paar neue Tränen aus den Augen.
„Sie müssen gar nichts sagen. Sie hätten die Erhöhung bei der nächsten Leistungsüberprüfung ohnehin bekommen. Sie verdienen Ihr Geld.“
„Vielen Dank.“ Es fühlte sich an, als hätte ihr jemand mehrere Tonnen Gewicht von den Schultern genommen. „Jetzt muss ich mich aber wirklich darum kümmern, dass Andrew in Mathe durchkommt.“
„Sieht es so schlimm aus?“
„Er hängt am seidenen Faden. Ich muss bei der Schule anrufen und mir eine Liste von Nachhilfelehrern geben lassen.“
Sie seufzte, weil der Alltag sie wieder einholte. „Ich trage auch Verantwortung dafür, dass es so weit gekommen ist. Er hat sich immer über die Hausaufgaben und den Unterricht beschwert. Ich hätte früher merken müssen, dass er Schwierigkeiten hat.“
„Seien Sie nicht so streng mit sich selbst! Sie tun, was Sie können.“
„Danke. Vielleicht haben Sie ja Lust, bei uns vorbeizukommen und Andrew das zu sagen?“
„Ich habe eine bessere Idee. Was halten Sie davon, wenn ich ihm helfe?“
Was? Ihr blieb der Mund offen stehen. „Sie?“
„Warum nicht? Ich kenne mich mit Zahlen schließlich ganz gut aus.“
Wohl wahr. Aber warum? Warum tut er neuerdings so viel, um mir zu helfen?
„Weil ich es möchte“, antwortete er auf ihre Frage. Er nahm ihr Kinn zwischen Daumen und Zeigefinger und hob ihr Gesicht, bis sie ihm in die Augen sah. Sie suchte nach einer Erklärung, doch alles, was sie fand, war unergründliches Blau. In ihr kämpften Argwohn und Dankbarkeit miteinander.
Als hätte er ihr Zögern gespürt, strich er nur sacht mit dem Daumen die Linie ihres Kinns nach. „Weil ich es möchte.“
Erst nachdem er seine Bürotür hinter sich geschlossen hatte, bemerkte Charles, dass er vergessen hatte, noch einmal nach Elizabeths Notizen zu fragen. Doch seine Gedanken kreisten zu sehr um das, was er gerade getan hatte. Habe ich ihr wirklich angeboten, ihrem Sohn Nachhilfe zu geben? Und ihr die Gehaltserhöhung gegeben?
Ja, wurde ihm mit einem merkwürdigen Gefühl klar, das habe ich. Es hatte ihn tief berührt, die unterdrückten Gefühle aus ihren Worten herauszuhören und zu erfahren, warum es ihr so wichtig war, dass Andrew auf die Trenton Academy ging. Diese Frau versucht, ihrem Sohn Vater und Mutter zu sein. Sie vergisst nicht, dass Andrew da ist, und vernachlässigt ihn nicht, um anderen wichtigeren Dingen nachzugehen.
Hätte es einen Unterschied gemacht? Als sie die Frage ausgesprochen hatte und er in ihre haselnussbraunen Augen geschaut hatte, hatte er sich so unendlich klein gefühlt. Zum ersten Mal in seinem Leben hatte er eine vernünftige Geschäftsentscheidung bereut. Und alles nur, weil ihn der Glanz in ihren Augen so tief getroffen hatte, dass sein Inneres schmerzte. Ich will, dass sie mich mit diesen Augen anlächelt, verdammt noch mal, und nicht, dass sie verweint und traurig aussieht.
Schwer atmete er aus, fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und versuchte sich wieder zu konzentrieren. Die
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