Julia Festival 94
ungeduldig. „Dein gegenwärtiger Ruf als Playboy hat dazu geführt, dass unsere meisten Freunde ihre Töchter von dir fernhalten.“
„Ich wünsche mir weder eine unschuldige Frau noch eine raffgierige Aufsteigerin“, erklärte Alexio verächtlich. „Unsere Freunde handeln daher ganz in meinem Sinn.“
Sander Christoulakis unterdrückte einen Seufzer. Er hatte alles getan, um seinen Sohn für diese günstige Verbindung zu gewinnen, die ihn zum Teilhaber der weit verzweigten „Gakis Holdings“ machen würde. Ebenso hatte er gehofft, dass ihm die praktischen Vorteile einer Ehe, die kaum persönlichen Einsatz erforderte, nach Crystals Tod verlockend erscheinen würden. Doch nicht einmal der Hinweis, dass Ione eines Tages das riesige Vermögen ihres Vaters erben würde, hatte den geringsten Eindruck auf Alexio gemacht.
„Minos würde uns eine brüske Ablehnung sehr übel nehmen“, prophezeite Sander. „Er möchte sich mit dir treffen, um den Vorschlag zu besprechen. Was kann dir das schon ausmachen?“
Alexio musterte seinen Vater mit dem kühlen, durchdringenden Blick, der seinen Geschäftspartnern jedes Mal Respekt oder sogar Angst einflößte. Er hütete sich, es zuzugeben, aber sein Interesse war durch die Erinnerung an die Nacht auf Lexos bereits geweckt.
„Ich werde darüber nachdenken“, erklärte er und beendete damit das Gespräch.
Ione betrachtete sich angespannt im Spiegel, denn eine so formelle Vorladung durch ihren Vater war selten und ließ nichts Gutes ahnen.
Ihr hellblondes Haar war streng zurückgekämmt, sodass ihr Gesicht noch blasser als sonst erschien. Das dunkelblaue Kleid, das weit über die Knie reichte, ließ nichts von ihrer zierlichen Figur ahnen. In einer größeren Gruppe wäre sie kaum bemerkt worden, und so sollte es nach dem Willen ihres Vaters auch sein. Bescheiden, unauffällig und geschlechtslos – das waren die Tugenden, die Minos Gakis an seiner Tochter schätzte. Dass er damit fünfzig Jahre zu spät kam und keineswegs den Stil einer reichen, kultivierten Familie traf, kümmerte ihn wenig. Er pochte auf seine bäuerliche Herkunft und hielt es für überflüssig, die Gesetze in seinem feudalen Inselreich der modernen Zeit anzupassen.
Tatsächlich leitete Minos Gakis seinen Haushalt wie ein ungekrönter Herrscher. Er kontrollierte alles, war jähzornig und gewalttätig, und Frauen zählten für ihn nicht. Sie waren Menschen zweiter Klasse, Geschöpfe, die zu seinem Besitz gehörten.
Ione hatte schon sehr früh gelernt, wie sie sich im Umgang mit ihrem Vater verhalten musste. Sie widersprach nie und sah bescheiden vor sich hin, wenn ein Sturm über sie hinwegbrauste. Mehr als einmal hatte sie mit ansehen müssen, wie ihre verstorbene Mutter geschlagen wurde. Amanda Gakis hatte alles getan, um ihre Tochter vor einer gleichen Behandlung zu schützen, aber auch Ione war mehr als einmal Opfer der väterlichen Brutalität geworden.
Die Tür zu Iones Schlafzimmer wurde unsanft und ohne vorheriges Anklopfen geöffnet, Ione drehte sich erschrocken um und sah direkt in Kalliopes hageres Gesicht. Kalliope war die Schwester ihres Vaters.
„Warum betrachtest du dich ständig im Spiegel?“, fragte sie verächtlich. „Das gehört sich nicht, wenn man so hässlich ist. Du müsstest eine geborene Gakis sein, um dich sehen lassen zu können.“
Ione kannte die Gehässigkeiten ihrer Tante und widerstand der Versuchung, sie zu fragen, was in ihrem persönlichen Fall schiefgegangen sei. Selbst der gutwilligste Betrachter hätte in Kalliopes scharfen Zügen keine Schönheit entdecken können. Auch der Hinweis darauf, dass Ione als Adoptivkind nicht zur Familie gehörte, war nicht neu und löste keine Reaktion bei ihr aus. Sie hätte Kalliope damit nur Gelegenheit gegeben, zu ihrem Bruder zu laufen und sich über Iones Frechheit zu beschweren.
Kalliope achtete streng auf die Einhaltung aller Regeln, die ihr Bruder für das Familienleben aufgestellt hatte, und kannte nichts Schöneres, als Verstöße gegen diese Regeln zu melden. Sie hasste Ione weit mehr als deren Mutter Amanda, eine sanfte, nachgiebige Engländerin, die sich nie in die Haushaltsführung eingemischt hatte. Ione war nicht so leicht zu ignorieren. Sie widersprach nie und erwies ihrer Tante allen notwendigen Respekt, aber seit man sie vor vier Jahren gewaltsam vom Athener Flughafen nach Hause gebracht hatte, bewahrte sie eine stoische Ruhe und Gleichgültigkeit, die Kalliope oft an den Rand der Beherrschung
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