Julia Festival 94
vergessen. „Fossetts“ war der Name des Landsitzes gewesen, wo sie mit ihren Pflegeeltern lebte –“ Fossetts“ in Norfolk. Von dort aus würde es leicht sein, ihre Spur zu finden.
Leider wusste Misty nichts über ihre Schwester, nicht einmal, wie sie heute hieß, Iones Geburtsname lautete Shannon, aber Amanda Gakis hatte sich gesträubt, diesen Namen beizubehalten. Doch das waren zweitrangige Probleme. Ione würde ihre lang verlorene Schwester finden und ihr behutsam dabei helfen, ein neues Leben anzufangen. Ein Leben ohne reiche Männer, die sie nur ausnutzten und dann wie einen wertlos gewordenen Gegenstand wegwarfen.
2. KAPITEL
Die Sonne breitete ihr goldenes Licht über Alexio Christoulakis, als er auf dem kleinen Landeplatz der Insel den Hubschrauber verließ. Ione stand mit Minos zum Empfang bereit, schmal und zierlich, wie eine edle Statue neben der massigen Gestalt ihres Vaters.
Da ist er, der mich gezwungen hat, morgens um drei Uhr die Bettwäsche zu wechseln, dachte sie. Jeder Schritt, mit dem er näher kam, verriet seine Arroganz und kühne Selbstsicherheit. Ahnte er nicht, dass er den Käfig des Löwen betrat? Ein Wort, ein Befehl ihres Vaters, und Alexio war vernichtet. Indem er in die Familie Gakis einheiratete, verkaufte er seine Seele dem Teufel.
Da ist sie, dachte Alexio, die Erbin des vielfachen Milliardärs, der vielleicht nur noch Monate zu leben hat und ein Geschäftsimperium hinterlässt, das seine Tochter zum Spielball aller Playboys und Glücksritter machen würde, wenn er ihnen nicht durch den Vertrag mit mir zuvorgekommen wäre. Dreiundzwanzig sollte sie sein und hatte angeblich nie einen Freund gehabt. Musste sie sich nicht in den ersten Mann verlieben, der ihr seine Aufmerksamkeit schenkte?
„Ione …“ Alexio sah in zwei Augen, die die Farbe kostbarer Jade, aber absolut keinen Ausdruck hatten. Es waren die kühlsten, fremdesten Augen, die er je bei einer Frau gesehen hatte, und die höflichen, nichtssagenden Begrüßungsworte, die er sich zurechtgelegt hatte, wollten ihm nicht über die Lippen kommen.
Sie hatte das blasse, ebenmäßige Gesicht einer Madonna. Aus der Ferne hatte sie wie eine Puppe gewirkt, aus der Nähe erinnerte sie an eine Statue aus Eis. Die Hochzeitsnacht würde eine echte Herausforderung werden.
„Alexio …“
Er bemerkte die zarte Röte auf ihren blassen Wangen, das leichte Zittern der seidigen braunen Wimpern, das winzige Nachgeben der zusammengepressten Lippen. Nein, diese Frau war weder kalt noch unempfänglich. Sie verbarg nur eine starke innere Anspannung, die wahrscheinlich ihm galt – als Mann.
Alexio fühlte eine merkwürdige Befriedigung, und seine vollen, sinnlichen Lippen verzogen sich zu einem gefährlichen Lächeln.
„Bring uns Kaffee“, herrschte Minos seine Tochter an, sobald sie die Villa betraten.
Der harsche Befehl ließ Alexio stutzen, was Ione nicht entging. Es kränkte sie doppelt, vor ihrem zukünftigen Ehemann so verächtlich behandelt zu werden, aber sie ließ sich nichts anmerken, wie sie es seit Jahren gelernt hatte. Im Vertrauen darauf, dass ihr Vater zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, ging sie betont langsam durch die Marmorhalle, mit kleinen, abgemessenen Schritten, die – wie sie inständig hoffte – ihre schmalen Hüften zum Schwingen brachten.
Alexio sah Ione nach, während er scheinbar seinem Gastgeber zuhörte. Eine leichte Falte erschien zwischen seinen dunklen Brauen. Was faszinierte ihn an dieser Frau? Sie bewegte sich mit der Geschmeidigkeit und Grazie einer Tänzerin, aber da war noch etwas anderes, das nicht seinen Schönheitssinn reizte, sondern Verlangen in ihm hervorrief.
Sobald Ione außer Sichtweite war, lehnte sie sich bebend gegen die kühle Korridorwand. Es war anstrengend, sich so zu verstellen, aber sie musste Alexios Aufmerksamkeit erregen und ihn davon überzeugen, dass sie mit der Heirat einverstanden war. Falls ihr das nicht gelang und er seine Meinung änderte, konnte auch ihr Vater ihn nicht zwingen, und damit schwand jede Hoffnung, jemals von dieser Insel herunterzukommen.
Ione fröstelte bei dem Gedanken. Sie hatte noch nie versucht, einem Mann zu gefallen. In Gegenwart ihres Vaters damit anzufangen erforderte mehr Mut und Raffinesse, als sie sich zutraute.
Ione brauchte nicht lange, um den gewünschten Kaffee zuzubereiten. Als sie mit dem Tablett in Händen ins Wohnzimmer kam, stellte sie enttäuscht fest, dass ihr Vater die anschließende Loggia als Aufenthalt gewählt
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