Julia Festival 94
hatte. Sie war auf einer vorspringenden Klippe errichtet worden und nur durch eine niedrige Mauer vom Meer getrennt. Dichte, über das Dach hinauswuchernde Weinranken spendeten kühlen Schatten.
Minos hatte in einem ausladenden Korbsessel Platz genommen, Alexio saß ihm gegenüber, dicht an der Außenmauer. Wie dem Hausherrn, schien ihm die Höhe nichts auszumachen, denn seine Haltung war so lässig, als befände er sich auf sicherstem Boden.
Ione hielt den Blick krampfhaft gesenkt. Trotz des prächtigen Ausblicks verabscheute sie die Loggia, denn sie litt unter Höhenangst. Ihr Vater wusste das und benutzte die Loggia regelmäßig, um Ione „von dieser albernen Schwäche zu kurieren“, wie er sich boshaft ausdrückte.
Alexio bemerkte Iones verkrampfte Haltung und sprang von seinem Stuhl auf. „Geben Sie mir das Tablett“, bat er leise. „Sie vertragen die Höhe nicht.“
Ione sah ihm verwirrt in die dunklen Augen, übergab ihm das Tablett zögernd und wartete, bis Alexio es sicher auf dem niedrigen Marmortisch abgestellt hatte.
„Es ist wirklich lächerlich“, sagte sie leise, denn sie spürte, wie verärgert ihr Vater über die Unterbrechung des Gesprächs war. „Ich muss unbedingt etwas dagegen tun.“
Alexio ließ Ione nicht aus den Augen. Sie versuchte, ihre Angst zu beherrschen, aber ihr Gesicht war kreidebleich, und die Kaffeekanne zitterte in ihrer Hand. Ihr Vater lächelte darüber, nicht mitleidig, sondern gierig, als weidete er sich an ihrer Schwäche. Fast wäre Alexio zum zweiten Mal aufgesprungen, hätte ihn gepackt und die Klippe hinuntergestoßen – nur um dieses widerliche Lächeln auszulöschen.
Ione ließ sich aufatmend auf den nächsten Stuhl sinken. Sie war es gewohnt, in Gegenwart ihres Vaters nicht beachtet zu werden, und beobachtete Alexio, der das unterbrochene Gespräch wieder aufgenommen hatte. Zu dumm, dass sie sich eben so verraten hatte, noch dazu vor einem Mann, der für seine Vorliebe für gefährliche Sportarten bekannt war. Wie seltsam seine dunklen Augen leuchteten, und wie lang und fein seine Wimpern waren. Wenn er sie ansah, spürte sie eine Erregung, eine fast zwanghafte Anziehung, der sie zu erliegen drohte.
Ärgerlich wandte Ione den Blick ab. Sie hatte nicht die Absicht, in die Fußstapfen ihrer unglücklichen Mutter zu treten, die mehr ihrem Gefühl als ihrem Verstand gefolgt war. Gut, Alexio war ungeheuer männlich und attraktiv, aber was war das wert? Ione hatte schon bei seinem ersten Besuch auf der Insel gemerkt, wie anfällig sie für ihn war. Aber ein Typ wie er, ein so skrupelloser Frauenheld, passte nicht in ihre Pläne von der Zukunft. Kein Mann würde ihr das Herz brechen, keiner je wieder über sie herrschen. Sobald sie frei war, würde sie den Ton angeben, und andere würden mit gebrochenem Herzen zurückbleiben.
Wie zum Beweis, lehnte sich Ione zurück und schlug die schlanken Beine übereinander, wobei sie den Rock etwas höher zog.
Keine von Iones Bewegungen entging Alexio. Ihr Versuch, sich verführerisch zu geben, indem sie ihren Rock vorsichtig über das Knie hinaufzog, war rührend und wirkte einstudiert. Wollte sie ihn reizen oder von der Heirat abschrecken? Wie auch immer, er hatte bereits begriffen, dass sich mehr hinter diesem glatten Madonnengesicht verbarg.
Ione spürte, dass sie beobachtet wurde. Wie zufällig ließ sie die Zungenspitze über ihre vollen Lippen gleiten, ohne dabei aufzublicken. Die provozierende Geste erregte Alexio. Was ihn eben noch gerührt und belustigt hatte, weckte jetzt seine Begierde, und das ärgerte ihn. Warum spielte Ione mit ihm? Worauf wollte sie hinaus?
Das Gespräch war ins Stocken geraten, und Minos erhob sich schwer aus seinem Sessel. „Ich habe zu arbeiten, Alexio. Ione wird Sie weiter unterhalten. Über die Einzelheiten der Hochzeit sprechen wir beim Dinner.“
Ione erschrak. Wenn es schon um die Einzelheiten ging, musste die Hochzeit beschlossene Sache sein. Alexio hatte zugestimmt, noch ehe er auf Lexos gelandet war. Damit erwiesen sich ihre Versuche, durch kleine Tricks auf sich aufmerksam zu machen, als reine Zeitverschwendung. Für Alexio zählten ihr Name und ihre Mitgift, nicht ihr Aussehen oder ihre Persönlichkeit.
Purpurrote Flecken erschienen auf ihren Wangen. Wieder einmal hatte man ihr bewiesen, wie unwichtig sie war. Trotzdem wäre es unklug gewesen, das begonnene Spiel vorschnell zu beenden.
„Wollen wir hineingehen?“, fragte Alexio, der wie selbstverständlich die
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