Julia Festival 94
nennenswerte Bindung zwischen Ihnen und dem Jungen besteht.“ Ein verächtliches Lächeln umspielte seinen Mund. „Immerhin haben Sie die meiste Zeit seines kurzen Lebens an tropischen Stränden und auf Partys verbracht.“
Freddy überlegte krampfhaft, wie sie die bevorstehende Trennung abwenden konnte. „Ich wäre bereit, mit nach Quamar zu fliegen und dort zu bleiben, bis Ben sich eingewöhnt hat und mich nicht mehr vermisst.“
Jaspar machte eine unwillige Handbewegung. „Sie reden Unsinn, Miss Sutton. Benedict hat schon am ersten Tag seines Lebens lernen müssen, ohne Sie auszukommen. Ich darf Ihnen versichern, dass Sie weder jetzt noch in Zukunft in meinem Land erwünscht sind. Morgen früh schicke ich die neue Kinderfrau vorbei. Sie wird Benedict abholen und den Tag mit ihm verbringen, damit sich beide aneinander gewöhnen können. Genügt Ihnen das?“
Freddy sah ein, dass sie die Schlacht verloren hatte. War es ein Fehler gewesen, dem Kronprinzen Ericas Rolle vorzuspielen? Wäre er nachsichtiger gewesen, wenn sie sich als Ericas Cousine und angebliche Kinderfrau zu erkennen gegeben hätte? Doch die Einsicht kam zu spät.
„Wird Ben in Quamar neue Eltern bekommen?“, fragte sie leise.
„Natürlich. In meiner Familie gibt es mehr als ein kinderloses Ehepaar.“
Freddy sah traurig vor sich hin. Sie dachte an Ruth und den Anwalt, die beide die Ansicht geäußert hatten, dass Bens Erziehung eine zu große Last für sie sein würde. Ob sie am Ende recht hatten? Brauchte Sie Ben mehr, als er sie brauchte? Ließ sie sich durch eigene Wünsche leiten? Handelte sie mehr aus Eigenliebe als aus Liebe zu Ben?
Die Al-Husayns wollten sich aus echter Sorge des Jungen annehmen. Das bewiesen nicht nur die Nachforschungen über Erica, das bewies auch Jaspars persönliches Erscheinen. Wie viel bequemer wäre es für die Familie gewesen, alles so gehen zu lassen, wie Adil es angeordnet hatte, und den Jungen zu vergessen.
Freddy stand auf und sagte leise: „Wenn Sie einverstanden sind, möchte ich morgen Abend noch einmal mit Ihnen sprechen.“
Jaspar nickte und verließ das Wohnzimmer. An der Wohnungstür drehte er sich noch einmal um und sah Freddy prüfend an. Spielte sie die besorgte Mutter, weil sie glaubte, sich das schuldig zu sein? War sie unfähig, die schlechte Mutter in sich zu erkennen, die sie war? Wie auch immer … er hatte gewonnen. Bei seinem nächsten Besuch würde sie auf ihre Rechte verzichten.
Warum war ihre Miene dann so angespannt? Warum hatte er den Eindruck, dass sie jeden Moment in Tränen ausbrechen würde? Es überraschte Jaspar, dass er bei aller Befriedigung über seinen Sieg fast so etwas wie Mitleid empfand.
4. KAPITEL
Freddy verbrachte eine schlaflose Nacht und stand früh auf. Jede Minute, die ihr noch mit Ben blieb, war unglaublich kostbar.
Sie machte ihm sein Lieblingsfrühstück und sah zu, wie er den zu kleinen Soldaten geschnittenen Toast in das weiche Ei tunkte. Sie betrachtete das kleine runde Gesicht unter den dunklen Locken, die langen, wie Halbmonde geschwungenen Wimpern. Wie zart die vom Schlaf noch leicht gerötete Haut war … Freddy presste eine Hand auf den Mund, um nicht vor Schmerz aufzuschreien.
Gestern Abend hatte sie sich wegen eines lächerlichen Kusses aufgeregt, weil das leichter gewesen war, als sich einzugestehen, dass sie Ben verloren hatte. Er gehörte ihr nicht und würde ihr nie gehören. Sie musste Abschied nehmen und zurücktreten.
Die Qual, die sie jetzt empfand, hatte sie selbst verschuldet. Schon während ihrer Ausbildung zur Kinderfrau hatte man sie davor gewarnt, sich innerlich zu stark an ein Kind zu binden, weil es früher oder später wieder seiner Familie gehören würde. Leider hatte sie diese Warnung nicht beherzigt. Ericas ständige Abwesenheit war Grund genug für sie gewesen, Ben die Liebe zu geben, nach der er sich sehnte.
Nicht Erica, sondern sie, Freddy, hatte während der ersten bangen Wochen neben dem Brutkasten gesessen und über den Jungen gewacht. Nicht Erica, sondern sie hatte den Einfall gehabt, ihn nach ihrem gemeinsamen Großvater Benedict zu nennen, weil Erica zu faul gewesen war, über einen Namen nachzudenken. Erica und immer wieder Erica …
Als der verwitwete Mr. Sutton seine verwaiste Nichte bei sich aufnahm, war Freddy gerade acht Jahre alt. Sie empfing die Cousine mit offenen Armen und bewunderte ihre Schönheit. Aber nicht nur sie ließ sich von Ericas Elfengesicht und grünen Katzenaugen bezaubern. Auch
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