Julia Festival 94
Wohnzimmer. Eine unerträgliche Spannung hatte sich ihrer bemächtigt.
„Ben sollte zur üblichen Schlafenszeit wieder zu Hause sein“, sagte sie mit einer Stimme, die sogar in ihren Ohren unnatürlich klang. „Das ist sieben Uhr.“
Jaspar sah, wie ängstlich der Blick ihrer blauen Augen auf ihn gerichtet war und wie erregt sie die Hände ineinander verschränkte. „Ich bin gekommen, um mich bei Ihnen zu entschuldigen“, sagte er leise und bedrückt.
Freddy runzelte die Stirn. Einen so demütigen Ton war sie bei Jaspar Al-Husayn nicht gewohnt.
„Bitte setzen Sie sich, damit ich erklären kann, was geschehen ist“, fuhr er fort. Der harte Zug um seinen Mund und der tiefernste Gesichtsausdruck überzeugten Freddy endgültig davon, dass etwas nicht stimmte.
Hatte Ben vielleicht einen Unfall gehabt? Bei der Vorstellung begann Freddy am ganzen Körper zu beben. „Ben … ist doch nicht tot?“, fragte sie stockend und ließ sich in den Sessel sinken, der hinter ihr stand.
„Nein, es geht ihm gut.“ Jaspar schien sich mit dieser Versicherung selbst trösten zu wollen. „Sie brauchen sich um seine Gesundheit keine Sorgen zu machen.“
„Warum müssen Sie sich dann bei mir entschuldigen?“
„Heute Morgen um halb zehn brachte Alula Benedict zu mir, damit wir uns anfreunden konnten. Das gelang ohne jede Schwierigkeit. Benedict ist ein äußerst liebenswürdiges Kind.“ Jaspars Stimme klang bewegter als sonst. „Später ging ich aus, um Geschäftsfreunde zu treffen. Als ich am späten Nachmittag zurückkam, erhielt ich einen Anruf von meinem Vater …“
Freddy rutschte auf ihrem Sessel nach vorn. „Von Ihrem Vater? König … Zafi?“
„Zafir.“ Jaspar ballte die schlanken Hände zu Fäusten, hob dann rasch den Kopf und sah Freddy mit seinen dunkelgoldenen Augen an. „Sobald ich die Botschaft verlassen hatte, brachten Alula und ihre Begleitung Benedict zum Flughafen. Mit Hilfe eines gefälschten Passes von Quamar gelang es ihnen, Ihren Sohn an Bord der bereitstehenden Privatmaschine zu bringen. Innerhalb der nächsten Stunde werden sie in Quamar landen.“
Freddy hatte Mühe, Jaspars Ausführungen zu folgen. Sie war von Anfang an so aufgeregt gewesen, dass Worte wie „Pass“ und „Flughafen“ zunächst keinen Sinn für sie ergaben.
„Dann ist Ben …“
„Nicht mehr in diesem Land.“
Nicht mehr in England! Freddy schüttelte langsam den Kopf. Das konnte nicht sein. Sie weigerte sich, das Unbegreifliche zu fassen.
„Das kann nicht sein.“
„Ich bin tief beschämt, Miss Sutton, aber es ist die Wahrheit.“
Tief beschämt? Wenn jemand für diese Entführung verantwortlich war, dann der Kronprinz persönlich! Er hatte Ben von dieser hinterhältigen Alula abholen und außer Landes bringen lassen. Ben war fort … entführt … geraubt!
Freddys Magen krampfte sich zusammen, und alles um sie her begann sich zu drehen. Sie versuchte nachzudenken, aber ihr Verstand funktionierte einfach nicht mehr. Ein einziger Gedanke nahm immer mehr Gestalt an. Während sie gutgläubig und vertrauensvoll auf Bens Rückkehr gewartet hatte, war er in einem Flugzeug gefangen gewesen, das ihn immer weiter von ihr fortbrachte.
„Sag Auf Wiedersehen, Benedict“, hatte Alula ihn heuchlerisch aufgefordert!
Freddy begann plötzlich zu frieren, und auf ihrer Stirn erschienen kleine glänzende Tropfen. Sie fühlte sich wie ein erschrecktes Kind, das nicht glauben konnte, was man ihm angetan hatte. In welchem Jahrhundert lebten die Quamari? Waren sie tatsächlich die Wilden, die eine gehässige Propaganda gern aus ihnen machte? Jaspar Al-Husayn war hergekommen, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Nach anfänglichem Zögern hatte sie es ihm geschenkt, weil sie sich keinen Erfolg davon versprach, um Ben zu kämpfen. Aber jetzt …
„Das können Sie nicht tun“, flüsterte sie kaum hörbar. „Sie können ihn mir nicht einfach wegnehmen. Er hat nicht mal seinen Pyjama …“
Jaspar öffnete die Wohnungstür, sprach kurz mit einem der Leibwächter und trug ihm auf, den Arzt aus der Botschaft zu holen. Dann ging er zur Bar, nahm ein Glas aus dem glitzernden Spiegelschrank und füllte es reichlich mit Brandy. Das wird ihr guttun, dachte er. Es wird den Schock mildern und ihr helfen, das zu ertragen, was noch kommt … dass die Trennung von ihrem Sohn endgültig ist.
Freddy fragte sich benommen, warum Jaspar ihr ein Brandyglas in die Hand drückte. Sie war aufgestanden, denn sie hatte bemerkt, dass er beim Einschenken
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