Julia Festival 94
Tür, die zum Flur führte.
Es ist besser so, dachte sie, während sie mit ihren Leibwächtern im Lift hinunterfuhr. Keine weiteren Auseinandersetzungen. Keine Vorwürfe oder Entschuldigungen, die alles nur noch schwerer machen würden. Sie hatte genug gesagt, und jedes Wort entsprach ihrer ehrlichen Überzeugung. Sollte er bei seinen Pascales und seiner toten Crystal bleiben. Sie würde in Freiheit ihr eigenes Leben führen!
Sie bat einen der Leibwächter, ihr ein Taxi zu rufen und ihr Gepäck umzuladen. Als das Taxi vorfuhr, erklärte sie den Männern nachdrücklich, dass ihre Aufgabe beendet sei, weil sie keine weitere Begleitung oder Überwachung wünsche. Dann forderte sie den Taxifahrer auf, sie zu dem Bahnhof zu bringen, von dem aus die Züge nach Norfolk führen.
Der erste Schritt auf dem Weg zu ihrer Schwester war getan, Ione wusste nicht mehr, wie oft sie in der Vergangenheit davon geträumt hatte. Jetzt, da endlich alles Wirklichkeit wurde, legte sie den Weg unter Tränen und in dem traurigen Bewusstsein zurück, dass sie Alexio niemals wiedersehen würde. Dieses Wissen lag wie eine schwere Last auf ihrer Seele, und die Überzeugung, dass sie richtig handelte, machte es nicht leichter.
Es war nach neun Uhr abends, als Ione den Zug verließ und auf das nächste Taxi wartete, das sie nach „Fossetts“ bringen sollte, wo ihre Schwester vor fast fünf Jahren gewohnt hatte. Minos hatte ihr nicht erlaubt, Mistys Brief zu beantworten oder aufzubewahren. Wie schwer musste das unverständliche Schweigen sie gekränkt haben. Ob es in „Fossetts“ noch einen Menschen gab, der sich an sie erinnerte?
Ione wollte in einem örtlichen Hotel übernachten und bat den Fahrer zu warten, als sie vor dem alten Haus mit dem steilen Dach und den altmodischen Erkerfenstern hielten, die ihm den Charakter eines Puppenhauses gaben. Ione klingelte und wartete nervös, bis eine rundliche Frau mittleren Alters öffnete.
„Es tut mir leid, um diese Zeit noch zu stören“, begann Ione zaghaft. „Ich suche nach einer Misty Carlton, die hier vor fünf Jahren gewohnt hat.“
Die Frau machte ein erstauntes Gesicht. „Misty? Die ist seit einem Jahr verheiratet.“
„Verheiratet?“, wiederholte Ione nicht weniger erstaunt.
„Aber ja … mit Leone Andracchi. Er ist ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, und sie haben bereits einen Sohn, der Connor heißt. Mistys Pflegemutter Birdie Pearce wohnt noch hier, ist heute Abend aber leider nicht zu Hause.“
Ione konnte vor Herzklopfen kaum weitersprechen. „Würden Sie mir Mistys jetzige Adresse geben?“
Die Frau zögerte. „Ich weiß nicht, ob ich dazu befugt bin. Darf ich fragen, warum Sie nach Misty suchen?“
Ione atmete tief ein. „Ich glaube … nein, ich weiß, dass sie meine Zwillingsschwester ist. Ich wurde adoptiert, als sie in ein Pflegeheim kam. Es ist schon lange mein Wunsch, sie wiederzufinden.“
Angespanntes Schweigen folgte, während Ione einer genauen Überprüfung unterzogen wurde. „Gütiger Himmel!“, rief die Frau dann aus. „Möchten Sie hereinkommen und auf Birdie warten?“
„Vielen Dank, aber ich habe eine weite Reise hinter mir und bin todmüde.“ Ione fürchtete, die Frau, der die Neugier im Gesicht stand, würde sie in ein anstrengendes Gespräch verwickeln. „Wenn Sie mir Mistys Telefonnummer geben könnten …“
Wenige Minuten später saß Ione wieder im Taxi – mit der Telefonnummer! Sie wusste auch, dass Misty und ihr Mann zweihundert Meilen nördlich in Schottland eine zweite Wohnung besaßen. Was Mistys angeblich so verwerflichen Lebensstil betraf, so hatte Minos sie angelogen, denn sie war inzwischen verheiratet und hatte ein Kind.
So viel zu ihrem, Iones, Vorsatz, ihre leichtsinnige Schwester wieder auf den richtigen Weg zu führen und vor weiteren Fehltritten zu bewahren! Nur gut, dass sie die Wahrheit noch rechtzeitig herausgefunden hatte. Angenommen, sie hätte Misty unbegründete Vorhaltungen gemacht … welche Kränkung wäre das gewesen! Die Wahrheit sah inzwischen anders aus. Misty führte eine harmonische Ehe und hatte ein Kind, während Ione sich eingestehen musste, dass ihre eigene Ehe gerade bis zum Ende der Flitterwochen gedauert hatte.
Ione ließ sich zum „Belstone House“ fahren und buchte dort eine Suite. Nachdem sie sich flüchtig eingerichtet hatte, bestellte sie ein Abendessen, denn ihr war so flau im Magen, dass sie glaubte, jeden Moment umzusinken. Unschlüssig betrachtete sie abwechselnd das Telefon
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