Julia Festival 94
tun?“
Ione senkte den Blick. Sie hatte in der Aufregung ein böses, lange gehütetes Geheimnis verraten.
„Also hat dein Vater dich doch geschlagen.“ Alexio schien Mühe zu haben, sich das vorzustellen. „Und jetzt glaubst du, dass alle Männer so sind? Ich habe niemals eine Frau geschlagen und würde es niemals tun. Wie kannst du das von mir denken?“
Ione bebte am ganzen Körper. Alexio war zurückgewichen, als hätte sie ihn körperlich bedroht, aber aus seinem Gesicht sprach nur die Kränkung, so falsch verstanden worden zu sein. Dabei hatte sie niemals einen gewaltsamen Angriff von Alexio befürchtet. In dem Bewusstsein, dass er anders als ihr Vater war, hatte sie sich in seiner Nähe immer sicher gefühlt.
„Ich flehe dich an“, flüsterte sie mit bebenden Lippen, „um deiner eigenen Sicherheit willen … Dad darf nie erfahren, dass du davon weißt. Er hat andere schon wegen harmloserer Dinge ruiniert.“
Alexio antwortete nicht darauf. Er nahm Ione nur in die Arme und steigerte dadurch die tiefe Unruhe, die sie vergeblich zu bekämpfen suchte. Wie gern hätte sie sich dicht an ihn geschmiegt und noch ein letztes Mal seinen warmen, männlichen Körper gespürt, bevor sie ihn für immer verlassen musste.
„Er wird nie mehr Gelegenheit haben, Hand an dich zu legen, agápi mou“, versicherte Alexio feierlich. „Das schwöre ich. Du wirst nie nach Lexos zurückkehren und nie wieder mit ihm allein sein. Solange er lebt, werde ich dich vor ihm schützen.“
Tränen traten in Iones Augen, denn sie wusste, dass Alexio jedes Wort ernst meinte. Trotzdem musste sie ihn verlassen. Vielleicht war er nicht durch und durch schlecht, aber ihr tat er nicht wohl. Er war einfach nicht der Richtige für sie, sosehr sie ihn auch liebte. Sie glaubte nicht mehr an seine Treue und konnte ihm nicht mehr vertrauen. Wenn sie bei ihm blieb, würde er sie zugrunde richten, wie Minos Amanda zugrunde gerichtet hatte.
„Das genügt nicht“, antwortete sie traurig und löste sich widerstrebend aus seinen Armen. „Ich brauche mehr, als du mir geben kannst.“
Alexio sah sie tief verletzt an. „Ich bin dir nicht untreu gewesen und werde es auch künftig nicht sein.“
Vielleicht glaubte er an seine Worte. Vielleicht würde er Pascale widerstehen, weil Ione rechtzeitig aufgetaucht war, aber nach Pascale würden andere kommen und mehr Erfolg haben. Ein attraktiver, reicher und mächtiger Mann wie Alexio würde immer ein begehrtes Ziel für bestimmte Frauen sein.
„Es waren wunderbare Flitterwochen“, gestand Ione, „aber bei einem Mann wie dir auszuharren wäre ein zu hartes Los. Ein Mann, dessen Herz einer Toten gehört …“
„Ione!“, unterbrach Alexio sie scharf.
„Ich wünsche mir einen Mann, der nur mich liebt … mich ganz allein. Das ist mir bisher verwehrt worden, aber die Zeit der Kompromisse ist vorbei.“ Ione hatte sich inzwischen gefangen und gewann ihre Fassung langsam zurück. „Ich habe ein Recht auf ein eigenes Leben, und ich werde die Schwester, von der ich gewaltsam getrennt worden bin, finden.“
„Ich kann dir helfen, Misty zu finden, aber nur, wenn du bei mir bleibst.“ Alexio nahm Iones Hände fest in seine. „Spürst du nicht, wie unsinnig das alles ist? Du hast mir kaum zugehört und bist immer noch viel zu aufgeregt.“
Ione kämpfte schwer mit sich. Alexio zu verlassen war ein fast übermenschliches Opfer, und doch …
Sie wollte ihm gerade ihre Hände entziehen, als die Tür unvermittelt geöffnet wurde. Ein älterer Mann mit einer arabischen Kopfbedeckung, die auffällig von seinem eleganten Anzug abstach, stand auf der Schwelle und gab deutliche Anzeichen der Ungeduld von sich.
„Euer Exzellenz …“ Von einer Sekunde zur anderen war Alexio wieder der kühle Geschäftsmann. Er begrüßte den Besucher auf Arabisch und stellte Ione anschließend als seine Frau vor. Der Besucher, ein Emir mit einem klangvollen Namen, den Ione sich beim besten Willen nicht merken konnte, grüßte mit einer leichten Neigung des Kopfes, nahm sonst aber keine Notiz von ihr. Er musste der Geschäftspartner sein, vor dem die Sekretärin sie vergeblich gewarnt hatte.
Als auch die Begleiter des Emirs auftauchten, öffnete Alexio die Tür zum Nebenzimmer und bat Ione mit unterdrückter Stimme: „Ich brauche etwa zwanzig Minuten. Bitte warte hier auf mich.“
Ione hatte keine Wahl. Sie folgte Alexios Aufforderung, wartete, bis sie allein war, und verließ das Zimmer durch die gegenüberliegende
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