Julia Festival 94
Gesicht.
„Ich wollte dich und deinen Mann nicht entzweien“, sagte sie ernst. „Ich mag Alexio, und er gehört jetzt zur Familie. Mein Zorn galt dir, aber ich hätte nichts gesagt, wenn ich geahnt hätte, dass er zuhört.“
„Ich weiß“, antwortete Ione aus tiefstem Herzen.
Kalliope nickte in ihrer üblichen kurzen Art. Sie war erleichtert, dass Ione ihr nichts nachtrug. „Dann komm jetzt“, sagte sie. „Wir wollen uns für eine Weile zu deinem Vater setzen.“
Minos Gakis starb am späten Nachmittag desselben Tages. Alexio überbrachte Ione und Kalliope die Nachricht und verhielt sich so, wie sie es von ihm erwarteten. Beide waren ihm für seine Unterstützung dankbar, nur Ione stellte betrübt fest, welch fremder, distanzierter Ausdruck in seinen Augen lag, wenn er sie ansah.
Sie hoffte, noch am selben Abend ausführlich mit ihm sprechen zu können, aber Kalliopes übergroßer Schmerz, die Vorbereitungen der Beisetzung und allgemeine Geschäfte nahmen ihn so in Anspruch, dass ihm keine Zeit dafür blieb. Als Ione am späten Abend müde ins Bett sank, arbeitete er immer noch, und als sie am nächsten Morgen aufwachte, bewies nur der leichte Abdruck im Kopfkissen, dass er irgendwann während der Nacht neben ihr gelegen hatte.
Am nächsten Tag war es nicht anders, Ione wartete bis Mitternacht und konnte es dann nicht länger aushalten. Sie stand wieder auf, warf sich ein handbemaltes Seidennegligé über und suchte den Büroflügel der Villa auf.
Alexio saß an dem imponierenden Schreibtisch ihres Vaters und war so in seine Arbeit vertieft, dass er ihr leises Eintreten überhaupt nicht bemerkte. Sie blieb stehen und betrachtete ihn eine ganze Weile sehnsüchtig. Sein tiefschwarzes Haar schimmerte im Licht der Lampe, und die dunklen Wimpern, die beim Lesen tief über den Augen lagen, kamen ihr länger und dichter als sonst vor.
„Kommst du bald ins Bett?“, fragte sie endlich mit rauer, unsicherer Stimme. Alexios Anblick hatte ihr klar gemacht, was er ihr bedeutete. Sie durfte ihn nicht verlieren, sonst hatte ihr Leben keinen Sinn mehr.
Alexio blickte auf und erhob sich, wie es sein Sinn für Höflichkeit verlangte. „Ich fürchte, nein“, antwortete er und strich sich das Haar aus der Stirn. „Morgen soll das Testament deines Vaters verlesen werden. Dafür brauchen die Anwälte diese Unterlagen.“
„Kann sich kein anderer darum kümmern?“
„Leider nicht. Ich möchte niemanden kränken, aber kein Angestellter des riesigen Gakis-Imperiums könnte Kaffee kochen, ohne eine direkte Anweisung bekommen zu haben.“
Ione hörte den Spott heraus und errötete. „Dad hielt die Zügel gern selbst in der Hand.“
„So ist es, und darin liegt für mich die Schwierigkeit. Ich muss mir in kürzester Zeit einen Überblick verschaffen, ohne erfahrene Berater zur Seite zu haben.“
Alexio sprach in dem kühlen, sachlichen Ton, den er seit der gestrigen Auseinandersetzung im Umgang mit Ione benutzte. Alle Wärme und Vertrautheit, jede Spur von Intimität waren daraus verschwunden.
„Wirst du mir jemals vergeben?“, fragte sie heiser.
Alexio streifte sie mit einem flüchtigen, unpersönlichen Blick. „Was gibt es da zu vergeben? Ich weiß, was für ein Leben du in diesem Haus geführt hast. Du warst völlig machtlos und wähltest das einzige Mittel, das einen Ausweg versprach.“
„Auf unsere Kosten.“ Alexios nüchterne Erklärung war nur ein schwacher Trost für Ione. „Du sagst, du könntest mich verstehen, aber das habe ich nicht gefragt. Ich will wissen …“
„Es gibt nichts zu vergeben“, wiederholte Alexio ernst. „Du hast eine Entscheidung gefällt, die ich an deiner Stelle vielleicht auch gefällt hätte. Wenn es ums Überleben geht, zählen ethische Grundsätze nicht mehr.“
Ione hielt sich nur mit äußerster Anstrengung aufrecht. „Ich fühlte mich von Anfang an zu dir hingezogen“, bekannte sie, „aber ich kämpfte mit aller Kraft dagegen an. Ich konnte dir nicht vertrauen und wollte nicht sehen, was ich dir antat.“
„Müssen wir wirklich darüber sprechen?“
Ione bemerkte die bläulichen Schatten auf Alexios Kinn und Wangen, und der vertraute Anblick war fast zu viel für sie. Sie hatte seinen Stolz verletzt, seinen Glauben an sie zerstört und ihre Ehe gefährdet, aber er weigerte sich hartnäckig, darüber zu sprechen.
„Eins sollte ich vielleicht noch sagen“, fuhr er nach einer kurzen Pause fort. „Ich hätte dich nicht bitten sollen, dein Vermögen in
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