Julia Festival Band 0105
freundlich, aber nicht überwältigend herzlich aus. Offensichtlich wollte Dr. Tempest Cally zunächst besser kennenlernen.
„Ich glaube, zu meiner Zeit ging man unkomplizierter mit Schwangeren um“, sagte Dr. Tempest. „Es gab nicht so viele Verbote, allerdings auch keine Ultraschalluntersuchung. Man musste also warten, bis die Hebamme einem sagte, ob man einen Jungen oder ein Mädchen zur Welt gebracht hatte. „Möchtest du vorher wissen, ob ihr eine Tochter oder einen Sohn bekommt, Caroline?“
Cally schüttelte den Kopf. „Mir ist es eigentlich gleich.“
„Ich wünsche mir ein Mädchen“, sagte Nick und reichte ihr lächelnd ein Glas frisch gepressten Orangensaft. „Aber die Kleine muss natürlich wie ihre Mutter aussehen.“
Cally senkte verlegen den Blick, hatte aber noch bemerkt, dass Dr. Tempest erstaunt die Brauen hochzog. Du trägst zu dick auf, Nick, dachte Cally.
Beim Abendessen erfuhr sie, dass Nicks Mutter nur einen Teil ihres Urlaubs bei ihnen verbringen würde. Dr. Tempest plante eine Vortragstour durch England und würde zwischendurch immer mal wieder zum Landsitz zurückkehren, wenn es sich ergab.
Sie konnte wunderbar und humorvoll erzählen. Das Essen verlief wie im Flug. Beim Kaffee berichtete die Archäologin über das Leben bei den Ausgrabungen, das manchmal nicht ganz einfach war, denn viele Persönlichkeiten trafen aufeinander. Oft musste sie vermitteln.
Cally bemerkte, dass Nicks Mutter sie genau beobachtete, und fühlte sich etwas unsicher. Obwohl Dr. Tempest im tiefsten Urwald von Guatemala geforscht hatte, war sie trotzdem erstaunlich gut informiert über die Vorgänge auf Wylstone. Offensichtlich korrespondierte sie regelmäßiger mit Nick, als Cally angenommen hatte.
„Ich hoffe sehr, dass Ranalds grässliche Witwe uns während meines Aufenthalts mit ihrem Besuch verschont“, sagte Dr. Tempest schließlich.
„Bestimmt“, antwortete Nick ausdruckslos. „Sie reist ja demnächst nach Südfrankreich. Bis dahin wird sie mit Einkaufen und Packen beschäftigt sein.“
Cally blickte erstaunt auf. Interessant, dass es Nick gelungen war, die andere Mitwisserin, die über Vanessa Layton Bescheid wusste, auf so elegante Weise loszuwerden. „Adele scheint sich aber sehr plötzlich zum Reisen entschlossen zu haben“, bemerkte sie mit Unschuldsmiene.
„Ach wo, sie fährt oft nach Südfrankreich. St. Tropez betrachtet sie als ihre geistige Heimat.“
„Leider wohnt sie noch immer im Witwenhaus“, sagte Dr. Tempest.
„Nicht mehr lange, hoffe ich. Wenn ich ihr mitteile, was ich mit dem Haus vorhabe, wird sie schon verschwinden.“ Nick sah Cally flüchtig an.
Soll ich etwas ins Witwenhaus ziehen?, überlegte sie und trank einen Schluck Kaffee, um davon abzulenken, wie intensiv sie nachdachte. Der Gedanke war grausam, ständig unter Nicks Aufsicht zu sein und das Baby wahrscheinlich nur in seiner Gegenwart sehen zu dürfen.
Aber hatte sie denn eine Wahl? Ihr ursprünglicher Plan, das Kind auf die Welt zu bringen und dann ihrer Wege zu gehen, war undurchführbar. Bereits ganz am Anfang der Schwangerschaft hatte sie eine starke Verbundenheit zu dem kleinen Menschen empfunden, der unter ihrem Herzen wuchs. Das Baby gehörte zu ihr, war von ihr abhängig, niemals würde sie sich von ihrem eigen Fleisch und Blut trennen können.
Noch vor zwei Monaten hätte sie dies nicht für möglich gehalten. Sie hatte sich eingebildet, sie wäre imstande, Nick das Kind zu überlassen und ihr Leben zu leben. Doch inzwischen spürte sie das starke Band zu dem kleinen Wesen, und die Vorstellung, jemand anders könnte ihr Kind großziehen, war unerträglich. Besonders, wenn diese Person Vanessa Layton sein würde!
Ob Nick so grausam sein konnte? Wie unbarmherzig er die Figuren in seinem Schachspiel hin und her schob, hatte sie ja gerade gehört. Bald wäre sie an der Reihe.
Jetzt sitze ich richtig in der Falle, dachte Cally hilflos.
„Du siehst müde aus, Caroline“, sagte ihre Schwiegermutter ruhig. „Warum bringst du deine Frau nicht ins Bett, Nick? Ich glaube, ich werde mich jetzt auch zurückziehen.“
„Ausgezeichnete Idee.“ Nick hielt Cally eine Hand hin, die sie zögernd ergriff und sich aufhelfen ließ.
Bei dem Gedanken an die bevorstehende Auseinandersetzung mit Nick wurde sie unruhig. Vielleicht blieb sie ihr auch erspart und Nick würde sich freiwillig in sein Zimmer zurückziehen. Obwohl das eher unwahrscheinlich war.
Schüchtern wünschte Cally Dr. Tempest eine gute
Weitere Kostenlose Bücher