JULIA FESTIVAL Band 76
seit einer halben Stunde mit ihr. Aber wenn er deine Stimme hört … Ruf mich, wenn etwas passiert.“ Sie sah auf die Uhr. „Er wird gleich wieder einschlafen. Mach dir keine Sorgen, wenn er wirres Zeug redet.“
Sie klopfte Chase auf die Schulter und ging hinaus.
„Hallo, Dad. Ich bin es. Chase.“
„Bist du es, mein Sohn?“
„Ich bin hier.“ Chase nahm seine Hand.
„Du musst dir mehr Mühe geben“, sagte die schwache Stimme. „Du bist ein Jackson. Lass dich von den Arbeitern nicht vorführen.“
„Dad. Das ist lange her …“
„Hör mir zu, Junge.“ Die Stimme wurde lauter. Sein Vater schlug die Augen auf und sah ihn an. „Du hast es mir immer schwergemacht.“
„Früher, Dad. Es ist elf Jahre her.“
„Nein! Denise, der Junge muss seinen Weg machen. Wir dürfen ihn nicht auf eine Privatschule schicken. Er muss sich den Respekt der anderen Kinder verschaffen. Ob sie ihn mögen, ist mir egal. Sie sollen ihn respektieren.“
Die Worte kamen Chase bekannt vor. Er hatte sie immer wieder gehört. Bis zu dem Tag, an dem seine Mutter bei einem Autounfall ums Leben gekommen war.
„Der Junge hat keinen Ehrgeiz. Ich muss ihn antreiben, sonst wird nichts aus ihm.“
„Dad“, sagte Chase. „Es ist gut. Ich bin etwas geworden. Ganz allein.“
„Denise! Denise!“ Sein Vater versuchte sich aufzurichten, fiel aber zurück. „Ich kann dich nicht mehr sehen.“ Er schloss die Augen. „Komm zurück. Ich brauche dich. Was soll ich mit dem Jungen machen? Ich …“
Der alte Jackson atmete tief durch, und die Hand, die Chase hielt, entspannte sich.
„Dad? Kannst du mich hören?“
Er bekam keine Antwort.
Chase saß noch eine Stunde da, aber sein Vater erwachte nicht wieder. Morgen, dachte er. Vielleicht würden sie morgen miteinander reden können.
Elf Jahre hatte er darauf gewartet. Aus Hoffnung war erst Zorn und dann Resignation geworden. Jetzt erstaunte es ihn, wie sehr er das bedauerte. Er liebte den alten Mann nicht und wollte nicht so sein wie er. Aber er konnte sich die Welt ohne seinen Vater nicht vorstellen.
Chase ließ die Hand seines Vaters los. Wenn er heute Abend losfuhr, konnte er am Montag in Phoenix sein. Sein Gepäck lag auf dem Rücksitz. Wenn sein Vater starb, konnten die Anwälte sich um alles kümmern. Jemand anderes würde die Blicke und das Getuschel ertragen müssen.
Jenny. Er sah sie vor sich. Er durfte sie nicht verlassen. Noch nicht. Er musste alles wiedergutmachen.
Um halb zehn stand er auf und ging hinaus. Terry saß in der Schwesternstation.
„Wie geht es ihm?“, fragte sie.
„Er sprach mit meiner Mutter. Ich glaube, er wusste gar nicht, dass ich bei ihm war.“
„Gib die Hoffnung nicht auf.“ Sie kam um den Tresen herum. „Solche Dinge brauchen Zeit.“
Zeit war genau das, was er nicht hatte. „Ich fahre nach Hause. Bis bald.“
„Okay. Ich habe ein paar Nächte frei, aber wir bleiben in Verbindung.“
Am Ausgang drehte er sich noch einmal um. „Wie lange hat er noch?“
„Das fragst du besser die Ärztin …“
„Hör auf, Terry. Ich will die Wahrheit hören. Bitte.“
Sie zögerte. „Einige Tage. Vielleicht eine Woche. Er muss nicht mehr beatmet werden, aber er wird immer schwächer. Es tut mir leid, Chase.“
„Danke für deine Ehrlichkeit. Sag Tom, dass er sich glücklich schätzen kann.“
„Das weiß er. Ich sage es ihm jeden Tag.“
Er winkte zum Abschied und ging hinaus.
Auf der Treppe fragte er sich, wie es sein musste, ein ganz normales Leben zu führen. Abends von der Arbeit nach Hause zu kommen, zur Frau und den zwei Kindern, am Samstag den Rasen zu mähen, am Dienstag den Mülleimer an die Straße zu stellen. So, wie er und Jenny es sich damals ausgemalt hatten.
Kurz darauf klopfte er an ihre Haustür. Niemand machte auf. Die Tür war nicht verschlossen.
„Jenny?“, rief er beim Eintreten.
Sie lag auf der Couch und schlief.
„O Jenny“, flüsterte er. „Du hättest nicht aufbleiben müssen.“
Er setzte sich zu ihr, strich ihr das Haar aus der Stirn, und sie bewegte den Kopf.
„Hi, Honey“, flüsterte sie mit geschlossenen Augen. „Ich bin eingeschlafen. Alles in Ordnung?“
Chase erstarrte. Sie schlief noch und träumte von einem anderen Mann. Sie hielt ihn für Alec. Ihm wurde übel.
„Du bist bestimmt hungrig“, sagte sie und rieb die Wange an seiner Hand. „Im Kühlschrank steht ein Teller für dich, Chase. Du kannst ihn dir in der Mikrowelle wärmen. Oder ich tue es für dich.“
Er entspannte
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