JULIA FESTIVAL Band 76
…“
„Ich gehe jetzt besser“, unterbrach Anne ihn. „Vergessen Sie nicht, was ich Ihnen gesagt habe, Chase.“
„Nein. Ich schicke Ihnen aus Phoenix eine Ansichtskarte.“
„Ich freue mich schon darauf.“ Sie küsste ihre Schwester auf die Wange. „Wir reden bald.“
Als sie davonfuhr, sah Jenny Chase an. „Sie hat dich doch nicht … beschimpft oder Dinge gesagt, die …“
„Frag nicht.“ Er nahm ihren Arm und führte sie zur Tür. „Vielleicht sollten wir dieses Gespräch drinnen weiterführen.“
„Welches Gespräch?“ Sie schüttelte seine Hand ab. „Was ist los?“
„Ich muss mich für vieles entschuldigen.“
Lächelnd schloss sie die Tür auf. „Falls du deine Übernachtung bei mir meinst, vergiss es. Hier ereignet sich so wenig, dass die Leute froh sind, wenn sie etwas zu tratschen haben. Wir beide wissen, dass du im Gästezimmer geschlafen hast. Und selbst wenn nicht, würde es die anderen nichts angehen.“
Sie ließ ihm den Vortritt. Im Wohnzimmer drehte er sich zu ihr um.
„Das meinte ich nicht.“ Er schob die Hände in die Taschen. „Ich meinte … unseren letzten Sommer. Ich habe im Krankenhaus mit deinem Vater gesprochen. Ich weiß …“ Er sah zu Boden, hob den Kopf und blickte ihr ins Gesicht. „Ich weiß von der Vergewaltigung.“
Jenny spürte, wie sie erblasste. Nein! Er durfte es nicht wissen! Die Scham raubte ihr den Atem. Sie packte die Schlüssel so fest, dass sich das kalte Metall in ihre Haut bohrte.
Dies war der Moment, vor dem ihr elf Jahre lang gegraut hatte. Der Moment, in dem sie den Schmerz in Chases Augen sah und das Mitleid in seiner Stimme hörte. Warum jetzt? fragte sie sich. Jetzt, da sie angefangen hatte, ihr Leben in die Hand zu nehmen, geriet es wieder aus den Fugen.
„Er hatte kein Recht, es dir zu erzählen“, sagte sie schließlich.
„Er hatte jedes Recht dazu. Du bist seine Tochter. Er wollte dich schützen.“
„Ich brauche seinen Schutz nicht.“ Sie zwang sich, ihm in die Augen zu sehen. „Und deinen auch nicht. Wenn es dir also darum geht, vergiss es.“
Sein Gesicht war so ausdruckslos wie am Tag zuvor. Sie wusste nicht, was er dachte. In der Selbsthilfegruppe war sie die einzige Frau ohne Ehemann oder Freund gewesen, aber sie erinnerte sich daran, was die anderen über die Reaktion der Männer erzählt hatten. Einige hatten geschworen, den Vergewaltiger umzubringen. Andere hatten sich ganz langsam von der Frau zurückgezogen, bis die Beziehung beim ersten Streit zerbrach. Alec war anders gewesen. Sie hatte ihm von der Vergewaltigung erzählt, aber sie hatte lange vor seiner Zeit stattgefunden. Sein Lächeln und seine Zärtlichkeit hatten ihr geholfen, das Trauma zu überwinden.
Aber Alec spürte, wie sehr sie noch immer darunter litt, Chase geliebt und verloren zu haben. Er kannte seinen Namen nicht, spürte jedoch, dass Chase zwischen ihnen stand. Schließlich verlangte er von ihr, sich zwischen ihnen zu entscheiden. Sie wollte ihn nicht länger täuschen und ließ ihn gehen.
„Ich will dir nicht wehtun“, beteuerte Chase.
„Dann vergiss alles, was du gehört hast. Es ist nicht mehr wichtig.“
„Wie kannst du das sagen? Ich habe dich schlecht behandelt. Warum hast du es mir nicht erzählt? Warum hast du mich damals gehen lassen? Wie konntest du mich in dem Glauben lassen, du hättest mich betrogen?“
Sie seufzte. „Müssen wir darüber reden? Ich habe es überwunden.“
„Wirklich?“ Er hob ihr Kinn an, bis sie ihm in die Augen sah. „Das glaube ich nicht.“
Alec hatte ihr auch nicht geglaubt. Dass sie Chase nicht mehr liebte und nicht auf ihn wartete.
„Warum hast du es mir nicht erzählt?“
Sein Schmerz erschütterte sie. Mit Wut oder Scham wäre sie fertiggeworden. Sie hätte ihm erklärt, dass es ihn nichts anging, und ihn weggeschickt. Aber in seinem von der Trauer gezeichneten Gesicht sah sie Züge des Jungen, den sie geliebt hatte.
„Ich hätte Drachen für dich erschlagen“, flüsterte er. „Die Welt erobert.“ Er schluckte. „Meine Seele verkauft. Du hast mir nie die Chance dazu gegeben.“
Sie schloss die Augen. Eine Träne rann ihr über die Wange, und er wischte sie mit dem Daumen fort. Die vertraute Geste ließ sie lächeln.
„Ich wollte nicht gerettet werden“, sagte sie. „Ich brauchte …“
„Was?“
„Einen Zauber, mit dem ich die Zeit zurückdrehen konnte, damit es nie geschehen war. Den konnte mir niemand geben. Nicht einmal du.“
„Es war meine Schuld. Wenn ich
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