JULIA FESTIVAL Band 78
Rowena Jahre auf ihn gewartet hatte. Und er zweifelte nicht daran, dass es stimmte. Ihre Augen hatten vor Wut gefunkelt, als sie ihn beschuldigt hatte, damals ihre Liebe ebenso verraten und sie im Stich gelassen zu haben, wie Phil Goodman es jetzt tat.
Rowena musste mit einem fremden Baby auf dem Schoß fotografiert worden sein, und ihre Eltern hatten die Aufnahme böswillig dazu benutzt, ihn loszuwerden. Oder sie wollten, dass er ebenso litt wie sie.
Als wäre es nicht schon schlimm genug für mich gewesen, meinen besten Freund zu verlieren und die vielen Operationen über mich ergehen zu lassen, um wieder laufen zu können, dachte Simon verbittert. Sie hatten dafür gesorgt, dass er Rowena auch noch verlor.
Rache. Und wofür? Benedict hätte ihn fast mit in den Tod gerissen. Wenn der Hund nicht auf die Straße gelaufen wäre … Simon schloss die Augen. Er wollte die letzten Sekunden vor dem Unfall aus seinem Gedächtnis löschen. Es war besser, alles zu vergessen. Aber er konnte es nicht.
Lügner …
Würde Rowena ihm das mit dem Foto glauben? Glaubte sie ihm, dass er ihr geschrieben hatte? Weder die eine noch die andere Behauptung ließ sich beweisen. Zumindest gab Rowena ihm nicht die Schuld an Benedicts Tod. Das war ein kleiner Trost, obwohl es das, was gegen ihn sprach, nicht aufhob. Würde sie ihr Misstrauen überwinden? Genügte sein Wort?
Das Telefon auf seinem Schreibtisch klingelte, und Simon drehte sich verärgert um.
Er hatte zu Fay gesagt, sie solle an diesem Morgen keine Anrufe zu ihm durchstellen. Warum tat sie es trotzdem? Er war in Versuchung, sich einfach nicht zu melden, aber er wusste, dass seine Sekretärin einen triftigen Grund haben musste, seine Anweisungen nicht zu befolgen. Da er Fays Urteilsvermögen vertraute, ging er zu seinem Arbeitsplatz und nahm den Hörer ab.
„Was ist?“
„Besuch für Sie.“
„Keine Termine, sagte ich.“
„Simon, ich habe doch gestern Kaffee und Sandwiches in Ihr Büro gebracht …“
„Worauf wollen Sie hinaus, Fay?“
„Ich habe ein feines Gespür für Stimmungen, wissen Sie. Ich glaube, diesen Besucher möchten Sie empfangen.“
„Wer ist es?“
„Mrs. Goodmans Sohn. Er ist gekommen, um mit Ihnen zu sprechen, und will so lange warten, bis er zu Ihnen vorgelassen wird.“
Das nahm Simon den Wind aus den Segeln. Welchen Grund könnte Rowenas Sohn haben, ihn aufzusuchen? Wo war Phil? Was war mit Rowena?
Simon ließ sich den inneren Aufruhr nicht anmerken. „Bringen Sie ihn herein, Fay“, sagte er ruhig, dann legte er den Hörer auf und überlegte, wo er sich am besten hinstellte, um den Jungen zu begrüßen. Er entschloss sich, ihm entgegenzugehen, wenn seine Sekretärin ihn hereinführte.
Nur einen Moment später öffnete Fay die Verbindungstür zu ihrem Büro und winkte einen Schuljungen an sich vorbei.
War er acht, neun oder zehn? Auf jeden Fall war er zu groß, um jünger zu sein. Er hatte schwarzes Haar, wie Rowena. Ihre grünen Augen hatte er nicht. Seine waren haselnussbraun. Er trug eine Schuluniform und eine Schultasche.
Er sollte in seinem Klassenzimmer sitzen, dachte Simon. Seine Eltern glaubten zweifellos, dass er dort war. Der Junge sah jedoch nicht aus, als hätte er ein schlechtes Gewissen oder Angst davor, dass sein Schwänzen entdeckt wurde. Sein neugieriger, abschätzender Blick gab Simon das Gefühl, dass er mit dem Bild, das sich Rowenas Sohn von ihm gemacht hatte, verglichen wurde.
„Jamie, das ist Mr. Delahunty. Jamie Goodman, Simon.“ Fay sah ihren Chef an und verdrehte die Augen. Was sie damit sagen wollte, war klar: Jetzt ist der Teufel los. Das haben Sie nun davon, sich in die Probleme anderer Menschen eingemischt zu haben!
Lächelnd ging Simon auf Jamie zu und streckte die Hand aus. „Guten Tag, Jamie.“ Rowenas Sohn. Eine neue Chance, an sie heranzukommen?
Der Junge stellte seine Schultasche ab und schüttelte Simon ernst die Hand. „Freut mich, Sie kennenzulernen, Sir.“
Er war gut erzogen. Es war eine reine Höflichkeitsfloskel. Jamie Goodman freute sich kein bisschen, ihn kennenzulernen. Er schien völlig darin vertieft zu sein, die Gesichtszüge des Mannes zu betrachten, den er unbedingt hatte sprechen wollen.
„Bitte sorgen Sie dafür, dass wir nicht gestört werden.“ Simon nickte seiner Sekretärin beifällig zu, weil sie für Rowenas Sohn eine Ausnahme gemacht hatte. „Danke, Fay.“
Sie ließ sie beide allein.
Jamie zog die Hand zurück und blickte sich in Simons Büro um.
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