JULIA FESTIVAL Band 78
Jocelyns Reichtum als Problem ansieht, ist er ein Waschlappen, dachte Antonia, fand diesen Gedanken allerdings wenig erfreulich.
„Wo ist Jocelyn?“, fragte Antonia während des Abendessens, das sie mit Ray zusammen einnahm.
„Sie hat vorhin angerufen und gesagt, dass sie erst später heimkommt“, antwortete Ray. „Wahrscheinlich hat sie eine Verabredung mit Scott“, fügte er mit viel sagendem Lächeln hinzu.
Ihr verging der Appetit. Wenn sie daran dachte, dass Scott Seton von ihr direkt zu einer Verabredung mit Jocelyn gegangen war … Antonia schluckte.
„Wie war dein Tag, meine Liebe?“
Ray sollte ihr nichts anmerken, deswegen riss sie sich zusammen und erzählte ihm von ihren geschäftlichen Erfolgen.
Ray schien sehr erfreut. „Da hat sich Scott aber ungemein entgegenkommend gezeigt.“
Sofort verflog Antonias gute Laune wieder.
„Das hätte ich ihm gar nicht zugetraut“, fuhr Ray nachdenklich fort. „Er ist natürlich ein guter, vielleicht sogar ein hervorragender Geschäftsmann. Ich freue mich, dass er auch für personelle Probleme Interesse zeigt. Da bin ich, was Jocelyns Zukunft anbelangt, noch zuversichtlicher.“
Ray hat ja überhaupt keine Ahnung, was für ein Mensch Scott Seton wirklich ist, dachte Antonia. Aber sie wollte Ray nicht beunruhigen und sagte lieber nichts, obwohl sie sich nicht gerade wohl dabei fühlte. Nein, insgesamt gesehen fühlte sie sich überhaupt nicht wohl bei der Sache.
„Antonia …“
Sie hob den Kopf und bemerkte Rays bittenden Blick. „Ja?“
„Scott hat uns alle drei zum übernächsten Wochenende in sein Landhaus eingeladen. Du erinnerst dich vielleicht, es liegt in der Nähe von Bowral. Ich vermute, dass er die Gelegenheit ergreifen wird, um … Kurz gesagt: ich wäre nicht allzu überrascht, wenn er sich an diesem Wochenende mit Jocelyn verloben würde. Deshalb finde ich, du solltest dabei sein, Antonia.“
„Nein!“, entfuhr es ihr. Bei dem Gedanken daran, dass die Verlobung wohl tatsächlich stattfinden sollte, verspürte sie einen feinen Stich im Herzen. „Ich kann nicht, Ray, ich habe schon etwas anderes vor.“
Ray machte ein enttäuschtes Gesicht.
„Außerdem, wenn er Jocelyn einen Heiratsantrag macht, muss ich nun wirklich nicht dabei sein.“
Er seufzte. „Aber das ist doch eine Familienangelegenheit, Antonia. Und wo Scott dir nun so sehr geholfen hat … bitte, überleg es dir noch einmal.“
Wenn Ray wüsste! Natürlich konnte sie ihm ihre in Aufruhr geratenen Gefühle nicht schildern. Wenn Scott Seton sie nicht geküsst hätte, ja dann … Und warum hatte er es überhaupt auf solche Art getan, wo er doch beabsichtigte, Jocelyn zu heiraten? Das ergab alles keinen Sinn!
Glücklicherweise wechselte Ray wenig später das Thema.
„Und wie steht es mit deinen Einkünften, Liebes?“, erkundigte er sich und nahm einen Schluck Wein.
„Heute habe ich noch nichts eingenommen. Ich habe erst einmal organisatorische Dinge erledigt“, erklärte sie. „Scott Seton konnte ich für die Einstellung der sechs Leute ja nichts abnehmen, da ich nichts dafür getan habe. Aber mach die keine Sorgen, Ray, es wird schon noch werden.“
Und ich habe wirklich gute und gezielte Vorarbeit geleistet, dachte sie zufrieden. Es wird nicht mehr lange dauern, und Scott Seton wird zahlen müssen. Ja, ich werde ihm zeigen, dass auch ich berechnend sein kann, wenn ich nur will. Und er wird eine lehrreiche Erfahrung machen, worauf man bei Speditionsgeschäften achten muss!
Antonia zwang sich, ihren Teller leer zu essen, um Mrs. Frobisher nicht zu beleidigen und damit Ray keine unbequemen Fragen stellte. Dann entschuldigte sie sich und verließ den Raum.
Während sie die Treppe hinaufging, beschloss Antonia, nicht mehr über Scott Seton und Jocelyn nachzudenken.
Du musst die Dinge nehmen, wie sie sind, ermahnte sie sich. Jetzt wollte sie sich erst einmal über Lillian Devereux und deren Plan, eine Hilfsaktion für taube Kinder zu starten, Gedanken machen. Sie würden eine einzigartige Sache aufziehen müssen, um so viel Geld zusammenzubekommen.
Viel Geld … Schon drehten Antonias Gedanken sich wieder um Scott. Sie fragte sich, ob sie ihm nicht auf legale Weise so viel Geld abnehmen könnte, dass er nicht mehr fähig sein würde, die Transportgesellschaft zu leiten. Irgendwie vermochte Antonia sich jedoch nicht vorzustellen, dass er im Fall des Falles zusammenbrach und vor sich hin jammerte. Mit diesem kühlen, berechnenden Gehirn würde er es
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