JULIA FESTIVAL Band 84
übernachtete im Airport Hilton, um den Zeitunterschied auszuschlafen. Gleich heute früh setzte ich mich mit Angela in Verbindung, denn Eile ist geboten. Außerdem kann ich Hotels nicht ausstehen. Ich fühle mich da nicht wohl. Darum wohne ich im Moment hier.“
Langsam beruhigte sie sich, denn Angela hatte oft über ihren Bruder, den Außenseiter, gesprochen, sowohl bewundernd wie auch genervt. Dennoch war Sarah noch immer ein wenig unbehaglich zumute. „Bitte, lassen Sie mich herunter.“
„Ach, es ist ein schönes Gefühl, Sie so in den Armen zu halten, und Ihnen tut es doch auch gut, nicht wahr? Die Tränen sind weg, die Stimme ist kräftiger, und Sie haben auch wieder Farbe in den Wangen.“
„Bitte … ich möchte mich gern hinsetzen“, stotterte Sarah, der noch mehr Farbe in die Wangen stieg. „Wo ist übrigens Angela?“
„Wie ich bereits erwähnte, schaut sie sich nach etwas Geeignetem für mich um. Sie sagte mir, sie würde Sie im Geschäft anrufen und Ihnen mitteilen, was los ist.“
Sarah erinnerte sich plötzlich, dass sie angeordnet hatte, keine Anrufe zu ihr durchzustellen, und seufzte tief auf. „Angela konnte mich nicht erreichen. Heute nicht.“
„Das erklärt alles.“
Sarah erklärte es nichts. Aber sie atmete erleichtert auf, als Ben sie endlich zum Sofa trug. Er strahlte übers ganze Gesicht. Behutsam setzte er Sarah auf dem Sofa ab und ließ sie los.
„Wann kommt Angela zurück?“
„Wahrscheinlich nicht vor Sonntagabend. Sie meint, in Melbourne könnten sich zwei Möglichkeiten für mich ergeben. Übrigens, was machen Ihre Zehen?“
Schon streifte er der verdutzten Sarah die Schuhe ab, legte ihre Füße auf den Couchtisch und massierte sanft die Zehen ihres rechten Fußes. Sie kam gar nicht dazu, seine Frage zu beantworten, weil er bereits weitersprach. „Es wäre besser gewesen, wenn Sie ihn mit dem Knie kräftig in eine bestimmte Stelle gestoßen hätten. Das ist viel wirkungsvoller als ein Tritt ins Schienbein.“
Das Massieren der Zehen und Fußsohlen löste seltsame Gefühle in Sarah aus. So seltsame, dass sie kaum richtig sprechen konnte. „Sie wollen wirklich hier mit mir im Apartment bleiben?“
„Das ganze Wochenende“, bestätigte Ben und ergänzte beim Anblick ihres entsetzten Gesichts: „Schließlich ist es mein Apartment, das mich eine Menge Geld gekostet hat. Aber ich kann mir niemanden vorstellen, mit dem ich es lieber teilen möchte. Und ich weiß, dass dieses Wochenende großartig sein wird“, behauptete er überzeugt. Dieser Meinung war Sarah jedoch nicht.
Er bewegte ihre Zehen noch ein paarmal hin und her. Dann richtete er sich auf und musterte Sarah mit offensichtlicher Vorfreude. „So, nun hole ich Ihnen einen Drink. Der tut Ihnen bestimmt gut und wird Sie in eine bessere Stimmung versetzen. Die brauchen Sie unbedingt, weil jetzt einiges auf Sie zukommt. Es gibt nämlich noch vieles, das Sie nicht verstehen können.“
Das kannst du zweimal sagen, dachte Sarah gereizt.
„Wie wäre es mit einem Sherry? Im Küchenschrank habe ich eine Flasche vorgefunden.“
„Ja, bitte.“ Etwas anderes fiel Sarah im Moment nicht ein. Ben Haviland war nicht nur groß und kräftig, sondern auch noch regelrecht überwältigend. Sie hatte einen Drink jetzt sehr nötig, um ihr seelisches Gleichgewicht wiederzugewinnen. Hinter ihr lag ein erschütternder Tag, und sie befürchtete, das Wochenende würde womöglich noch schlimmer werden.
2. KAPITEL
Nach einer Weile kehrte Ben ins Zimmer zurück und reichte Sarah ein sehr großes, vollgefülltes Glas Sherry, wobei er zufrieden verkündete: „Wie ich merke, sind Sie ein positiv eingestellter Mensch.“
Sarah betrachtete kritisch das Glas, in dem sich schätzungsweise ein Drittel der ganzen Flasche befand, und dachte: Entweder versteht er nichts von Sherry, oder er hält mich für eine Alkoholikerin. „Das ist ein recht großer Sherry“, bemerkte sie trocken.
Ben setzte sich ihr gegenüber in den Lehnsessel und bestätigte mit einem verschmitzten Lächeln: „Stimmt.“
Sein unbekümmerter Ton wirkte irgendwie ansteckend auf Sarah. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. „Ich bin gar nicht so positiv eingestellt, wie Sie meinen. Und auch nicht negativ. Es kommt darauf an, von welcher Seite man es betrachtet.“ Falls er beabsichtigte, sie betrunken zu machen, fügte sie vorsichtshalber hinzu: „Ich trinke immer nur sehr mäßig.“ Sie betonte das Wort immer.
„Wie gut.“ Er nickte beifällig.
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