JULIA FESTIVAL Band 89
quer über seinen flachen Bauch, als habe jemand ein Messer quer über seinen Bauch gezogen. Neben dem Schlüsselbein war eine weitere, offenbar eine Brandnarbe. Eine lange Narbe zog sich über eine Wade, und auch am Schenkel hatte Ty eine. Außerdem hatte er die Tätowierung am Arm, die er ihr schon gezeigt hatte.
Und dieser Mann bezeichnete sie als Kämpferin!
Allmählich bekam sie einen Eindruck davon, wie er aufgewachsen war. Es fehlten noch eine ganze Reihe von Teilen in dem Puzzle, aber auf neugierige Fragen würde er mit Sicherheit nicht antworten. Ihr war klar, dass er sich schon als Kind seinen Weg im Leben selbst suchen musste, und Nicole gestand sich ein, dass sie das faszinierend fand.
Wie konnte eine Mutter ihr Kind im Stich lassen? Was ging in einer Frau vor, wenn sie ihren Sohn missachtete?
Nicole empfand viel Mitgefühl für ihn, auch wenn sie wusste, dass Ty solche Gefühle bestimmt nicht haben wollte. Dazu war er viel zu stolz.
„Willst du mir die ganze Nacht lang beim Schlafen zusehen?“, murmelte Ty, ohne die Augen zu öffnen.
Wie ertappt zuckte Nicole zusammen. „Du bist wach?“
„Willst du sehen, wie wach ich bin?“
Sie musste lächeln, da er sich nicht rührte, weil er wahrscheinlich immer noch ziemliche Schmerzen hatte. „Weißt du überhaupt, wo du bist?“
„In deinem Bett. Ohne dich.“ Seine Stimme klang tief und sehr sexy. „Willst du wieder etwas überprüfen? Meine Temperatur vielleicht? Ich bin sehr heiß, Darling.“
„Du bist verletzt.“
„Nicht sehr.“
Prüfend sah sie ihn an. Er rührte sich immer noch nicht und hielt die Augen weiterhin geschlossen. Offenbar konnte sie sich in Sicherheit fühlen und würde nichts riskieren, wenn sie ihn ein bisschen herausforderte – und zwar nicht als Ärztin, sondern als Frau. „Glaubst du wirklich? Meinst du, du könntest …“
„Ich weiß es.“
„Ja? Dann beweis es mir. Komm und nimm mich, mein großer Junge.“
Vorsichtig öffnete Ty ein Auge und machte es gleich wieder zu, als er Nicoles mutwilliges Lächeln sah.
„Na, komm schon. Hol’s dir“, forderte sie ihn auf.
Er stöhnte. „Kannst du einem armen Mann vielleicht etwas behilflich sein und dich ein bisschen mehr zu mir beugen?“
„Nein.“
„Jetzt verstehe ich, du bist ein boshafter Mensch.“
„Gute Nacht, Ty.“
„Das hatten wir doch schon.“
„Du wirst es heute Nacht noch einige Male zu hören bekommen. Bedank dich bei deiner Gehirnerschütterung.“
Ty fluchte, und Nicole musste erneut lächeln. Ein Mann, der so fluchen konnte, würde auch wieder gesund werden.
Als sie das nächste Mal nach ihm sah, hatte er so große Schmerzen, dass sie schließlich auf einem Stuhl an seiner Seite schlief, um ihn besser versorgen zu können. Mitten in der Nacht drehte Ty sich laut stöhnend auf die andere Seite, und Nicole strich ihm beruhigend über die Stirn. Obwohl er kein Wort sprach, wusste sie, dass er wach war und große Schmerzen hatte.
„Es tut mir leid“, flüsterte sie.
„Mir tut es auch leid. Ich bin durch deine Zimmerdecke gefallen, und so was macht man nicht.“
„Brauchst du noch eine Schmerztablette?“
„Ja, und ich habe beschlossen, dass ich die mag.“
„Und die Ärztin? Was ist mit der?“ Nicole wusste selbst nicht, wieso sie das gefragt hatte, und wünschte nun, sie hätte es nicht getan.
Ein kleines Lächeln spielte um Tys Lippen. „Vielleicht komme ich noch zu dem Schluss, dass ich die Ärztin mehr als nur ein bisschen mag.“
„Das liegt nur daran, weil sie die guten Sachen für dich hat.“
Jetzt öffnete er beide Augen. „Das stimmt. Du hast eine Menge guter Sachen für mich.“
Nicole wurde rot.
„Und ich spreche nicht von deinem kleinen aufregenden Körper, Dr. Nicole Mann.“
8. KAPITEL
Am Morgen fühlte Nicole sich wie gerädert. Wann war das letzte Mal die Versorgung eines einzigen Patienten so anstrengend für sie gewesen?
Es musste daran liegen, dass dieser Patient ihr so viel bedeutete. Viel zu viel.
Aber im Moment plagte ein anderes Problem sie. Sie war nicht sicher, ob Ty den Tag über allein bleiben konnte. Er konnte noch nicht ohne Hilfe aufstehen. Auch wenn er das entschieden abstreiten würde, er war noch nicht bei Kräften.
Also tat sie etwas, was sie noch nie getan hatte. Zum ersten Mal in ihrem gesamten Berufsleben rief Nicole in der Klinik an und nahm sich einen Tag frei.
Danach fragte sie sich, ob sie den Verstand verloren habe.
Nach dem Anruf im Krankenhaus stand Nicole
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