JULIA FESTIVAL Band 95
Von jedem anderen, aber nicht von ihm. Er traute ihr nicht, und sie wusste selbst nicht, ob man ihr trauen durfte. Sie wollte es glauben, doch sie war nicht sicher. Sie konnte erst sicher sein, wenn ihr Gedächtnis zurückkehrte. Doch egal, wie ihre Vergangenheit aussah, Jarrett war ein Mann, von dem man sich besser fernhielt. Den man aus der Distanz bewunderte, mehr nicht. Oder gar nicht erst wahrnahm.
Obwohl Anna Jane und sie reglos dastanden, erstarrte er plötzlich und sah vom Fernseher zum Spiegel. Ihre Blicke trafen sich darin und verschmolzen miteinander.
Zwischen ihnen ging etwas vor. Es war ein ungewohntes, aber unwiderstehliches Gefühl. Sie fühlte, wie sie auf ihn reagierte, und malte sich aus, wie er sie in die Arme zog. Ihre Hände zitterten, so groß wurde der Wunsch, seine Haut zu berühren. Bei dem Gedanken, von ihm gestreichelt zu werden, wurde ihr warm, und sie sehnte sich danach, seine Kraft zu spüren.
Und dann war es fort. Sie war nicht sicher, wer von ihnen zuerst blinzelte. Von einer Sekunde zur anderen war die Verbindung unterbrochen. Sie schnappte nach Luft, fragte sich, ob sie sich alles nur eingebildet hatte und ob sein schweres Atmen nur vom Laufen kam.
Anna Jane sah, dass er sie bemerkt hatte. „Onkel Jarrett, ich besichtige mit Arielle das Haus“, erklärte sie.
„Viel Spaß“, erwiderte er.
„Haben wir. Wann kommt der Weihnachtsbaum?“
Die Andeutung eines Lächelns zog um seine Mundwinkel. „Bald.“
„Aber es ist doch schon fast Weihnachten.“
„Erst in einer Woche. Keine Angst, er wird rechtzeitig hier sein.“
Anna Jane schaute skeptisch drein, aber sie traute ihrem Onkel. Sie rümpfte die Nase. „Du bist ganz verschwitzt, Onkel Jarrett. Warum läufst du so schnell?“
„Es ist gut für mein Herz.“
Es ist auch gut für den Rest seines Körpers, dachte Arielle. Seit sie hier war, lag sie nachts wach und grübelte über ihre Herkunft nach. Wie es aussah, würde sie ab jetzt aus einem weiteren Grund keinen Schlaf finden.
Obwohl die Tür seines Arbeitszimmers geschlossen war, hörte Jarrett das gedämpfte Lachen. Aus welchem Grund auch immer Arielle in sein Leben getreten war, sie war gut für Anna Jane. Seit drei Tagen war das Mädchen wie verwandelt. Anstatt still zu sein und sich im Hintergrund zu halten, hatte es deutlich angefangen zu leben. Es tobte und lachte und hatte Freude. Genau das wollte er für seine Nichte. Was ihm nicht recht gefiel, war die Tatsache, dass nicht er, sondern jemand anderes das bewirkt hatte.
Arielle war für ihn noch immer ein Rätsel. Niemand hatte sie als vermisst gemeldet, weder auf St. Alicia noch auf den Nachbarinseln. Sie sah nicht mehr voller Hoffnung auf, wenn er das Zimmer betrat. Es war, als hätte sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden.
Noch schlimmer war, dass Jarrett sich noch immer nicht über seine Gefühle der fremden Frau gegenüber klar war. War sie echt, oder spielte sie nur mit ihm? Die Antwort auf diese Frage war nicht leicht, und er würde sie heute nicht mehr finden.
Er konzentrierte sich wieder auf die Zahlen vor ihm. Für eine Sekunde verloren sie jegliche Bedeutung, während er in die plötzliche Stille hineinlauschte. Vielleicht waren Arielle und Anna Jane an den Strand gegangen. Er brauchte nur den Kopf zu heben, durch das Fenster zu schauen und würde wissen, ob Arielle einen Badeanzug trug. Etwas, das ihre langen Beine und …
Hör auf!, befahl er sich streng. Du musst arbeiten.
Langsam vertiefte er sich wieder in den Geschäftsbericht, stellte Zahlen zusammen und ermittelte die Trends in den sieben neuesten Wilkenson-Hotels. Die Zahl der Firmenkunden hatte stetig zugenommen. Die Weekend-Specials für einheimische Geschäftsleute waren erfolgreicher als erwartet. Er nahm sich vor, eine Kostenanalyse zu erstellen und …
Etwas streifte seinen Arm. Er wedelte das lästige Insekt fort und drückte auf ein paar Tasten. Auf dem Bildschirm erschien das Ende des Berichts. Er studierte die Summen.
Sein Oberarm kribbelte, und er drückte ihn an den Körper. Als ihm Pinienduft in die Nase stieg, spürte er, dass er nicht mehr allein im Zimmer war.
Arielle lachte leise. Sie stand neben seinem Stuhl, einen Pinienzweig in der Hand. Sie strich damit über seinen Arm. „Sie besitzen eine erstaunliche Konzentration“, stellte sie fest.
„Danke“, erwiderte er. Was sie wohl sagen würde, wenn sie wüsste, wie oft er an sie hatte denken müssen? Sie trug zwar nicht den Badeanzug, von dem er gerade
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