JULIA FESTIVAL Band 95
jemanden zu lieben oder zu vermissen, dem du wichtig bist. Die Liebe ist ein sehr wichtiger Teil von uns.“
Arielle hatte keine Ahnung, woher sie diese Weisheit bezog, aber es schien Anna Jane zu beruhigen.
„Ich fürchte mich“, gestand Anna Jane.
„Wovor?“
„Dass sie mich wegschicken. Ich habe gehört, wie der Anwalt davon gesprochen hat. Von einem Internat.“ Sie hob das Kinn und sah Arielle in die Augen. „Wenn Onkel Jarrett stirbt und ich allein bin, werde ich arm sein und auf dem Dachboden leben müssen. Wie Sara Crewe in ‚Die kleine Prinzessin‘“, fügte sie hinzu.
Arielle erinnerte sich an die Geschichte. „Das wird nicht passieren.“ Sie zog das Mädchen an sich. „Dein Onkel ist sehr reich, und er wird sein Geld nicht verlieren, also brauchst du keine Angst vor dem Dachboden zu haben.“
„Aber was ist mit dem Internat?“
„Ich werde mit ihm reden“, versprach Arielle und fragte sich, wie, um alles in der Welt, sie so etwas sagen konnte. Jarrett war nicht gerade ihr Fan und würde von ihr bestimmt keine Ratschläge in Erziehungsfragen annehmen. Trotzdem, hier ging es um seine Nichte, nicht um ihn. Er würde es ertragen müssen. Aber ob sie auch mutig sein würde, wenn sie dem Löwen in seiner Höhle direkt gegenüberstand?
Anna Jane schaute sie voller Hoffnung an.
„Ich werde dafür sorgen, dass er es versteht. Du wirst sehen.“
„Danke.“ Das Mädchen legte seinen Kopf an ihre Schulter. „Ich bin froh, dass du meine Flasche gefunden hast.“
„Ich auch“, erwiderte Arielle. „Wollen wir jetzt das Haus erkunden?“
„Okay.“ Die Neunjährige sprang vom Bett. „Es ist wirklich groß. Es gibt sechs Schlafzimmer und sogar ein Fernrohr oben in einem kleinen Raum unter dem Dach.“
„Klingt toll. Meinst du, wir brauchen einen Kompass?“
Anna Jane lachte. „Ich finde schon zurück.“
„Bist du sicher? Wir könnten Leona um Brotkrumen bitten. Aber natürlich würde sie wollen, dass wir sie auf dem Rückweg wieder wegsaugen, und ich möchte keinen schweren Staubsauger mitschleppen, du etwa?“
„Du bist lustig.“
„Das hoffe ich.“
Lachend ging Anna Jane vor. Arielle folgte ihr und fragte sich, warum es ihr so leichtfiel, mit dem Kind Freundschaft zu schließen. Hatte sie als Kindermädchen bei einer reichen Familie gearbeitet? War sie Lehrerin? Vielleicht hatte sie in der Praxis eines Kinderarztes gearbeitet.
Alles war möglich.
Sie beschloss, später darüber nachzudenken. Jetzt wollte sie erst einmal die Tour durch Jarretts prächtiges Haus genießen.
Sie begannen oben und arbeiteten sich nach unten vor. Wie versprochen, führte ein Weg am Dach entlang zu einem runden Raum mit großen Fenstern und einem teuer aussehenden Fernrohr. Das Stockwerk darunter beherbergte kleinere Schlafzimmer und ein geräumiges Spielzimmer, komplett mit Billardtisch sowie einem Großbildfernseher.
Im zweiten Stock lagen die anderen Schlafzimmer, einschließlich Anna Janes, Arielles und Jarretts, das Arielle jedoch nicht betrat. Aus irgendeinem Grund wollte sie nicht sehen, wo und wie er schlief.
Am Ende des Korridors führte eine Doppeltür in eine Art von Fitnessstudio. „Da sind Gewichte und so etwas drin“, erklärte Anna Jane. „Onkel Jarrett ist sehr stark.“
„Das ist mir aufgefallen.“ Arielle stieß die Tür auf und hörte das leise Summen eines Elektromotors zusammen mit dem rhythmischen Geräusch von Füßen. Sie schaute hinüber und entdeckte Jarrett auf einem Laufband.
Aus dem Fernseher, der an der Wand angebracht war, kamen Nachrichten. Jarrett hatte sie noch nicht bemerkt, und sie wollte verschwinden, bevor er es tat, doch ihre Füße gehorchten ihr nicht.
Also beobachtete sie ihn. Kräftige Arme schwangen vor und zurück. Lange Beine bewegten sich mühelos. Er trug Shorts und ein kurzes T-Shirt. Der Rücken war breit und gebräunt. Der Schweiß färbte den verblichenen grauen Stoff dunkel.
Arielle konnte nicht anders und ließ den Blick zu dem Spiegel vor ihm wandern … dem Spiegel, in dem er ganz zu erkennen war. Die langen Beine und straffen Schenkel waren von vorn ebenso verführerisch. Sein Bauch war glatt, flach und muskulös, die Schultern unglaublich breit. Und auch sein Gesicht verriet Kraft und Willensstärke.
Er bewegte sich mit der Geschmeidigkeit eines wilden Tiers, und in ihr reagierte etwas Unbekanntes, Urtümliches. Sie versuchte die Hitze zu ignorieren, die in ihr aufstieg. Sie konnte sich unmöglich von ihm angezogen fühlen.
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