JULIA FESTIVAL Band 95
ihre Schwester nach einem einzigen Abend begehren? Bei ihr, Kayla, war das kein einziges Mal passiert. Dabei waren sie ständig zusammen. Wie viele Nächte waren sie gemeinsam wach geblieben und hatten kranke Tiere gepflegt? Oder sich gegenseitig beigestanden? Als Patrick vor drei Jahren an einer schweren Grippe erkrankt war, hatte sie ihm eine Suppe gekocht und ihn gefüttert. Um drei Uhr morgens hatte sie den Arzt gerufen und war anschließend mit einem Rezept zur Apotheke geeilt.
Umgekehrt war es genauso gewesen. Als eine böse Lebensmittelvergiftung sie tagelang ins Bett zwang, hatte Patrick sie gepflegt und getröstet.
Und die gemeinsame Zeit auf der Veranda, die Sonnenuntergänge und das ausgelassene Gelächter? Bedeutete ihm das gar nichts? Wie konnte er glauben, dass er Elissa begehrte und nicht sie?
Das war das Schmerzlichste von allem. Sie war im Restaurant an seiner Seite gewesen. Ihre Lippen hatte er berührt und nicht Elissas. Sie hatte ihn sexuell erregt. Aber das wusste er nicht, und sie hatte keine Idee, wie sie es ihm beibringen sollte.
Sie näherten sich ihrer Wohnung, und Kayla wagte einen Blick in Patricks Gesicht. Seine Miene verriet wenig. Er wirkte völlig entspannt.
Was sollte sie tun? Ihm alles gestehen? Tat sie es nicht, müsste sie Elissa erzählen, was passiert war. Schließlich würde er ihre Schwester wiedersehen wollen und nach dem heutigen Abend glauben, dass sie mehr als Freunde seien.
Bevor Kayla zu einem Entschluss kommen konnte, bog Patrick in die Einfahrt. Doch anstatt anzuhalten und sie die Treppe hinauf zu ihrem Apartment zu begleiten, fuhr er weiter zum Haupthaus und schaltete den Motor aus. Langsam drehte er sich zu ihr. Das Licht der Veranda beleuchtete seine linke Gesichtshälfte und betonte sein markantes Profil und seinen eindringlichen Blick.
„Trotz meiner Worte im Restaurant habe ich nicht die Absicht, über dich herzufallen“, sagte er leichthin. „Wenigstens nicht ohne deine Zustimmung. Nachdem das klar ist: Kommst du mit herein?“
„Ja“, sagte Kayla, ohne nachzudenken. Eine innere Stimme warnte sie. Doch sie hörte nicht darauf. Sie sehnte sich danach, wieder in Patricks Armen zu liegen.
Patrick ging um den Wagen herum und öffnete ihr die Tür.
Kayla stieg aus, und er nahm ihre Hand und hob sie an die Lippen.
Zärtlich berührte er jede Fingerspitze mit der Zunge.
Kayla begann zu zittern.
Patrick zog sie an sich und küsste ihr Haar. „Ich verspreche, dass ich mich wie ein Gentleman verhalten werde, und wenn es mir noch so schwerfällt“, sagte er mit belegter Stimme. „Ich möchte dich küssen. Darf ich?“
Er hatte die Beifahrertür nicht geschlossen, und das Deckenlicht fiel auf sein Gesicht. Leidenschaft blitzte in seinen blauen Augen.
Machte es etwas aus, dass sie nicht Elissa war? Sie war die Frau, die Patrick begehrte. Wenn dies ein Spiel war, hatte sie viel zu lange gewartet, um ihm Einhalt zu gebieten. Die Regeln waren ihr nicht klar. Auch mit dem Ziel war sie nicht restlos vertraut. Aber sie war bereit, ein Risiko einzugehen.
Patrick wartete geduldig auf ihre Antwort. Die Worte bildeten sich in ihrer Kehle, doch eine Flut von Empfindungen hinderte sie am Sprechen. Stattdessen stellte sie sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn.
Es war ein harmloser Kuss. Kayla sehnte sich nach mehr. Sie wollte Patricks Zunge in ihrem Mund spüren, seine Hände auf ihrem Körper, nackte Haut auf nackter Haut. Trotzdem hielt sie sich noch zurück, als wäre es wichtig, dass ihre Seelen zuerst eins wurden.
Zuerst? Und dann? Würden sie miteinander schlafen? Patrick als ihr Geliebter – ihr erster richtiger Geliebter?
Patrick lehnte sich zurück und betrachtete sie. „Du raubst mir den Atem.“
„Ich weiß“, sagte sie und war froh, dass ihre Stimme nicht zitterte. Sie kämpfte immer noch mit der Vorstellung, dass sie ein Liebespaar werden könnten. Wollte sie das wirklich?
„Soll ich dich nach Hause bringen?“, fragte er leise.
Tränen stiegen Kayla in die Augen. Am liebsten hätte sie sich an seine Brust geworfen. Trotz aller Leidenschaft ließ Patrick ihr die Wahl. So war er: aufmerksam, verständnisvoll, fürsorglich und rücksichtsvoll.
Er würde mit ihr schlafen, wie er sie küsste – kraftvoll und unglaublich einfühlsam. Nie zuvor hatte sie sich bei einem Mann wohl genug gefühlt, um sich ihm restlos hinzugeben. Vielleicht war es eine Frage des Vertrauens. Patrick vertraute sie.
Entschlossen blinzelte sie ihre Tränen fort.
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