JULIA FESTIVAL Band 95
sehr angenehme Gesellschaft. Ich weiß, dass ich als Gast verpflichtet bin, unterhaltsam und geistreich zu sein. Können wir das vertagen?“
Gerade hatte er geglaubt, sie durchschaut zu haben, da verblüffte sie ihn. Sie wies ihn ab. Nicht gerade das, was man von einer Frau erwarten würde, die es auf einen Mann abgesehen hatte.
Er holte tief Luft. Er wusste, wie gefährlich es war, jemandem zu trauen und sich zu irren. Die Folgen konnten mörderisch sein.
„Ich muss nicht unterhalten werden“, bemerkte er, während er sich neben sie auf die Mauer setzte. „Aber ich würde gern kurz mit Ihnen über meine Nichte sprechen, wenn Sie nichts dagegen haben.“
„Über Anna Jane? Geht es ihr nicht gut?“
„Doch, doch. Ich habe sie gerade zugedeckt. Davor habe ich ihr eine Geschichte vorgelesen. Vielleicht ist sie schon ein wenig zu alt dafür, aber ich denke, es wird ihr nicht schaden.“
Arielle warf ihm einen Blick zu. Ihr langes lockiges Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden und gab ihr Gesicht frei. Das Licht aus dem Küchenfenster erhellte die rechte Seite, während die linke im Schatten lag. Sie war unbeschreiblich schön.
„Ich gebe zu, Anna Jane wirkt ein wenig zu reif für Gutenachtgeschichten, aber ich glaube, darum geht es ihr auch gar nicht. Sie will Ihre Nähe. Es ist für sie eine ganz besondere Zeit des Zusammenseins.“
„Daran habe ich nicht gedacht. Ich mache mir Sorgen um sie. Das hier ist alles so fremd für sie. Sie musste alles zurücklassen. Ihre Schule, ihre Freunde. Es wäre leichter, wenn sie ihre Kinderfrau hätte mitbringen können, aber das ging nicht.“
„Anna Jane hat es mir erzählt“, sagte Arielle.
Er streckte die Beine aus. „Die beiden standen sich sehr nahe. Und jetzt hat Anna Jane nicht nur ihre Kinderfrau, sondern auch Tracy verloren.“
„Tracy war Ihre Schwester?“
„Ja.“
„Ich befinde mich in einer schwierigen Lage“, gab Arielle zu. Als er sie ansah, zuckte sie die Achseln. „Ihre Nichte hat mir vor einigen Tagen etwas erzählt. Sie hat mich nicht gebeten, es für mich zu behalten, aber ich erzähle es nur ungern weiter. Sie soll nicht glauben, dass ich hinter ihrem Rücken über sie rede.“
Wieder überraschte sie ihn. Ihre Rücksichtnahme auf Anna Janes Gefühle passte nicht zum Charakter einer Frau, die hinter ihm und seinem Geld her war. „Ich werde Sie nicht verraten“, versprach er.
Arielle nickte. „Sie werden diplomatisch sein. Ich vertraue Ihnen. Anna Jane fühlt sich schuldig. Sie vermisst ihre Kinderfrau mehr als ihre Mutter, und sie hält sich deswegen für schlecht.“
„Das arme Kind“, flüsterte er. „Was haben Sie ihr gesagt?“
„Dass ihre Reaktion ganz normal sei. Es ist in Ordnung, mehr als einen Menschen zu lieben. Ich habe versucht, ihr zu erklären, dass sie und ihre Kinderfrau den Alltag miteinander erlebt haben und dass sie diese kleinen Momente mehr vermisst als die besonderen mit ihrer Mutter.“
„Hat sie es verstanden?“
„Ich hoffe es, aber ich bin mir nicht sicher.“
Jarrett rieb sich die Schläfe. „Ich habe keine Erfahrung als Vater.“
„Wie die meisten Menschen, die Kinder bekommen.“
„Sicher, aber wenigstens fangen die mit einem Baby an. Dort oben schläft eine kleine Persönlichkeit, und ich weiß nicht, wie ich mit ihr umgehen soll.“
„Lieben Sie das Mädchen, Jarrett. Sprechen Sie mit ihr über Nana B. und ihre Mutter, und versuchen Sie, es ihr noch einmal zu erklären, damit sie keine Schuldgefühle mehr hat.“
„Gute Idee.“ Er roch die salzige Gischt, die vom Meer herüberwehte. Aus irgendeinem Grund wollte er Arielle erklären, was an der Beziehung zwischen Tracy und ihrem Ehemann so besonders gewesen war. „Tracy und Donald waren anders als die meisten Paare.“
„Inwiefern?“
„Sie liebten einander so sehr, dass sie alle anderen ausschlossen. Solange sie allein waren, war das kein Problem, doch dann kam Anna Jane, und die beiden blieben noch immer in ihrer eigenen Welt gefangen. Dann kam Donald bei einem Autounfall ums Leben. Tracy hat sich nie davon erholt. Irgendwie ist Anna Jane von Geburt an ein Waisenkind gewesen.“
„Wenigstens hatte sie Nana B.“
„Sie haben recht. Nana B. liebte sie, als wäre sie ihr eigenes Kind.“
Einige Minuten lang saßen sie schweigend da. Dann drehte Arielle sich zu ihm. „Haben Sie jemals jemanden so geliebt?“
„Nein. Sie?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, das habe ich nicht, da bin ich mir vollkommen sicher.
Weitere Kostenlose Bücher