JULIA FESTIVAL Band 95
gehen, bis sie Gewissheit hatte.
Fallon und Kayla, ihre Schwestern, würden sie für völlig verrückt halten. Bei dem Gedanken an die beiden musste sie unwillkürlich lächeln. Beide hatten sie ihr auszureden versucht, unangemeldet im Waisenhaus aufzukreuzen. Sie glaubten, dass es besser wäre, Cole behutsam auf ihre Ankunft vorzubereiten. Elissa fürchtete jedoch, dass er sie dann sofort abgelehnt hätte. Deshalb entschied sie sich für den Überraschungsangriff.
„Du bist hübsch. Millie muss dich eingestellt haben. Die Leute, die Cole aussucht, können meistens nicht mal lächeln.“
Elissa drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme kam. Ein großes, schlankes Mädchen stand auf der Schwelle zu ihrem Schlafzimmer.
„Ich bin Tiffany“, stellte sie sich mit einem verschmitzten Lächeln vor. „Ich habe geklopft, aber du hast mich wohl nicht gehört.“ Das Lächeln verschwand aus ihren Zügen. „Soll ich wieder gehen?“
„Natürlich nicht.“ Elissa ging auf das Kind zu und streckte ihm die Hand entgegen. „Ich bin Elissa Bedford, und du hast recht. Millie hat mich eingestellt.“
„Wir sehen das immer sofort.“ Tiffany war wirklich groß, fast so groß wie Elissa, schätzungsweise ein Meter und fünfundsechzig. Sie hatte lange, dunkle Locken und mandelförmige Augen, eine kaffeebraune Haut und hohe Wangenknochen.
„Ich bin zwölf“, sagte das hübsche Mädchen. „Weihnachten werde ich dreizehn.“ Tiffany lehnte sich gegen den Türrahmen. Sie trug weiße Shorts und ein pfirsichfarbenes T-Shirt. An den langen schlanken Armen und Beinen war kein Gramm Fett zu viel. Sie war eine richtige kleine Schönheit.
„Ich habe im Sommer Geburtstag, am ersten Juli. Ganz schön weit von Weihnachten entfernt.“
„Es ist schon ein besonderes Gefühl, Weihnachten Geburtstag zu haben. Es hat nur den Nachteil, dass man nicht zweimal im Jahr Geschenke bekommt.“ Tiffany durchquerte das Zimmer und setzte sich auf Elissas Bett. Mit ihren braunen Augen beobachtete sie jede ihrer Bewegungen. „Ich bin gar keine richtige Waise. Ich habe noch eine Mutter, aber die ist drogenabhängig. Ein paar Entziehungskuren hat sie schon hinter sich. Aber sie kommt einfach nicht von dem Zeug los. Eine Zeit lang habe ich bei Pflegeeltern gelebt. Die haben immer so getan, als sei meine Mutter tot. Deshalb war ich froh, als Cole mich hierhergeholt hat.“
„Wie lange bist du denn schon hier?“
„Seit ein paar Jahren.“ Tiffany betrachtete die Blumenmuster von Elissas Kleidern, während diese weiter ihren Koffer auspackte. „Du hast schöne Sachen, aber ich sehe gar keine Jeans.“
„Ich mag Jeans nicht sehr.“
„Und Shorts?“
„Auch nicht. Ich bin mehr für Röcke und Kleider.“
„Und wie hast du es geschafft, dein Haar so hoch zu stecken?“
„Zuerst habe ich alle Haare zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst, und dann brauchte ich sie nur noch festzustecken.“ Sie beugte sich zu Tiffany vor und berührte deren dunkle Locken. „Ich kann es dir gern einmal zeigen. Es wird dir großartig stehen. Hast du dir schon mal einen Zopf geflochten?“
Tiffany schüttelte den Kopf. „Das kriege ich nie hin.“
„Es ist ganz einfach. Auch das werde ich dir zeigen. Dann kannst du dir diese Frisuren selbst machen. Du brauchst nur ein wenig Geduld.“
„Wirklich? Das wäre cool.“ Tiffanys Augen leuchteten.
„Ich liebe alles, was cool ist“, entgegnete Elissa feierlich.
„Hast du Cole schon kennengelernt?“
„Klar.“
„Und? Was hältst du von ihm?“
„Er hat sich verändert“, erwiderte sie, ohne zu überlegen. Sofort bereute sie ihre Unachtsamkeit. Cole hatte zwar nur darauf bestanden, dass sie nichts von ihrer Heirat erzählen sollte, aber er hatte sie sicherlich für klug genug gehalten, ihre Bekanntschaft ebenfalls zu verschweigen.
„Wie lange kennst du ihn schon?“ Tiffany sprang vom Bett hoch.
„Ungefähr, seit ich so alt war wie du. Aber wir haben uns lange nicht gesehen.“
„Er ist doch schon uralt! Dann müsst ihr euch ja schon ewig kennen.“
„Das Gefühl habe ich manchmal auch.“
„Wie war er denn früher?“, bohrte Tiffany weiter. „War er wie andere Kinder? Hat er auch gespielt und Blödsinn gemacht?“
„Na klar. Allerdings war er schon immer sehr entschlossen. Er hat sich immer durchgesetzt.“ Dass Cole sich bei ihrem ersten Zusammentreffen ziemlich abweisend verhalten hatte, behielt Elissa für sich. Er hatte sie nicht gemocht, und sie wusste bis heute nicht warum.
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