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JULIA FESTIVAL Band 98

JULIA FESTIVAL Band 98

Titel: JULIA FESTIVAL Band 98 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: SUSAN MALLERY
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unbedingt daran denken, nicht in den Spiegel zu sehen. Die Bestätigung ihrer schlimmsten Befürchtungen würde sie veranlassen, vor Schreck laut zu schreien und somit die Kinder zu wecken.
    Er füllte das Anmeldeformular am Empfangspult aus, und sie reichte ihm einen altmodischen Messingschlüssel.
    „Ihr Zimmer liegt hier entlang“, sagte sie und ging die Treppe hinauf.
    Sie hatte ihm das vordere Zimmer zugedacht. Es war nicht nur groß und behaglich, mit einem Blick über Glenwood, sondern auch eines der zwei einzigen Gästezimmer, die nicht unter ihrer Wohnung im zweiten Stock lagen. Wenn sie nicht voll ausgebucht war, brachte sie ihre Gäste dort unter, um ihre Kinder nicht ständig ermahnen zu müssen, leise zu sein.
    Fünf Minuten später hatte sie ihrem Gast die Unterkunft gezeigt und die Frühstückszeit mitgeteilt. Sie wünschte ihm eine gute Nacht und eilte den Flur entlang.
    „Mrs. Wynne?“
    Sie drehte sich zu ihm um. „Stephanie, bitte.“
    Er nickte. „Haben Sie eine Karte von der Gegend? Ich bin hier, um jemanden zu besuchen, und kenne mich nicht aus.“
    „Sicher. Ich lege Ihnen eine auf den Frühstückstisch.“
    „Danke.“
    Es war spät, und die Augen fielen ihr beinahe zu, und doch entging ihr nicht, dass seine schwarzen Haare im Schein der Deckenlampe bräunlich glänzten und Bartstoppeln ihn ein klein wenig gefährlich aussehen ließen.
    Stephanie wandte sich ab und dachte dabei, dass sie aus Schlafmangel offensichtlich an Halluzinationen litt. Gefährliche Männer kamen nicht nach Glenwood. Bestimmt war Nash Harmon etwas völlig Harmloses wie Schuhverkäufer oder Professor. Außerdem ging es sie nichts an, womit er sich die Brötchen verdiente. Ihr war es egal, ob er Programmierer oder Pirat war, solange seine Kreditkarte gedeckt war.
    Dass er gut aussah und möglicherweise Single war – zumindest trug er keinen Ehering –, sollte sie nicht weiter interessieren. Neun Jahre Ehe mit Marty, der verantwortungslos und kindlich wie ein Zehnjähriger geblieben war, hatten sie davon kuriert, sich je wieder mit einem Mann einzulassen. Nun, gelegentlich fühlte sie sich einsam, und es war schwer, ohne Sex zu leben, aber die Alternative war wesentlich schlimmer. Sie hatte bereits drei Kinder zu versorgen. Eine Liaison mit einem Mann hätte ihrer Erfahrung nach bedeutet, sich auch noch ein viertes anzuschaffen, und dazu besaß sie einfach nicht die Nerven.
    Obwohl Nash bis spät in die Nacht aufgeblieben war, erwachte er bereits kurz nach sechs Uhr am nächsten Morgen. Er drehte sich auf den Rücken und starrte an die Decke.
    Was zum Teufel will ich hier?
    Dumme Frage, sagte er sich. Er war in einer Kleinstadt, von der er bis vor wenigen Wochen nie gehört hatte, um die Angehörigen kennenzulernen, von deren Existenz er nichts gewusst hatte. Nein, das stimmte nicht ganz. Er war da, weil ihm von seinem Chef Zwangsurlaub verordnet worden war und er kein besseres Reiseziel gefunden hatte. Wäre er in Chicago geblieben, hätte sein Zwillingsbruder Kevin das nächste Flugzeug zu ihm genommen.
    Nash setzte sich auf und schlug die Bettdecke zurück. Ohne die Routine seiner Arbeit erstreckte sich der Tag endlos vor ihm. Ging er wirklich so sehr in seinem Beruf auf, dass es nichts anderes mehr in seinem Leben gab?
    Zweite dumme Frage.
    Er wusste, dass er sich noch am Vormittag mit Kevin in Verbindung setzen und ein Treffen vereinbaren musste. Nachdem sie einunddreißig Jahre lang nichts von ihrem leiblichen Vater gewusst hatten als die Tatsache, dass er ihre damals siebzehnjährige Mutter geschwängert und dann im Stich gelassen hatte, sollten sie sich nun mit ihren Halbgeschwistern treffen.
    Kevin fand es gut, dass weitere Familienangehörige existierten. Nash war bislang anderer Meinung.
    Eine halbe Stunde später war er geduscht, rasiert und mit Jeans, langärmligem Hemd und Stiefeln bekleidet. Es war Mitte Juni, aber ein kalter Nebel hing über dem Teil der Stadt, den er von seinem Fenster aus sehen konnte. Rastlos wanderte er in seinem Zimmer umher. Schließlich beschloss er, auf das Frühstück zu verzichten und durch die Gegend zu fahren. Vielleicht konnte er so ergründen, warum er seit einigen Monaten schlecht schlief, keinen Appetit hatte und sich für nichts interessierte als seinen Job.
    Er lief die Treppe hinunter. An der Rezeption nahm er sich Papier und Stift, um seiner Wirtin eine Nachricht zu hinterlassen, als er Geräusche aus dem hinteren Teil des Hauses hörte. Wenn sie schon auf war,

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