JULIA FESTIVAL Band 98
wünschen. Sie hatte es so oft getan, dass Gage schließlich eine Bemerkung über die kleine Brosche gemacht hatte.
Sie waren damals spazieren gegangen, erinnerte sich Kari, und eine Träne rollte ihr über die Wange. Nach einem Abendessen, bei dem sie kaum zwei Bissen herunterbekommen hatte, waren sie in den nahe gelegenen Wald gegangen.
Noch heute konnte sie sich an den Duft der Erde und an das Knirschen des Laubes unter ihren Füßen erinnern. Sie hatte gehofft, dass er sie küssen würde. Aber er hatte es nicht getan. Stattdessen hatte er ihre Hand genommen, und sie hatte das Gefühl gehabt, vor Glück auf der Stelle sterben zu müssen.
Dabei war er nicht der erste Mann gewesen, der ihre Hand gehalten hatte. Vor Gage hatte es schon andere gegeben. Doch das waren Jungen in ihrem Alter gewesen. Gage hingegen war schon ein Mann.
Sie waren bereits fünf Mal miteinander ausgegangen, als er sie das erste Mal geküsst hatte. Sie strich leicht mit den Fingerspitzen über die Brosche und erinnerte sich daran, wie sie das Schmuckstück an jenem Oktoberabend an ihrem Pullover befestigt hatte. Gage hatte sie wieder mal zum Abendessen eingeladen, und sie war so nervös gewesen, dass sie kaum etwas essen konnte. Sie hatte schreckliche Angst gehabt, irgendetwas falsch zu machen oder unreif zu wirken.
Sie hatte sich längst in Gage verliebt, und ihr Schicksal war besiegelt gewesen, als er draußen vor dem Restaurant stehen blieb und leicht ihre Brosche berührte.
„Wie hübsch sie ist“, hatte er gesagt, „aber nicht so hübsch wie du.“ Und während Karis Wangen sich vor Freude über das Kompliment röteten, beugte er sich vor und berührte mit seinem Mund sanft ihre Lippen.
Kari seufzte. Sie hatte zuvor geküsst, aber niemals war es so wie mit Gage gewesen. Die anderen Küsse hatte sie längst vergessen, doch an Gages Kuss würde sie sich immer erinnern können.
Ein prickelnder Schauer lief ihr plötzlich über den Rücken, und impulsiv steckte sie die kleine Brosche an ihr T-Shirt. Wie auch immer die Beziehung mit Gage geendet hatte, die Zeit mit ihm war wunderbar gewesen. Eines war sicher, es gab nicht viele Männer wie ihn.
Einen Moment lang dachte sie, wie schön es wäre, wenn sie ihn erst jetzt kennengelernt hätte. Es wäre bestimmt wunderbar, ohne die Schatten der Vergangenheit mit ihm auszugehen. Aber es war müßig, sich Tagträumen hinzugeben. Die Vergangenheit ließ sich nun mal nicht auslöschen, außerdem war seine Welt Possum Landing, und sie würde ganz bestimmt nicht hierbleiben.
5. KAPITEL
Nachdem sie sich das Obergeschoss angesehen und sich entschlossen hatte, die Wände farbig zu streichen, machte Kari sich eine Liste, um in den Baumarkt zu fahren. Seit sie das letzte Mal in Possum Landing gewesen war, hatte eine Filiale einer großen Kette an der Schnellstraße aufgemacht. Sie war sicher, dass die Auswahl dort größer und die Preise günstiger sein würden als im Laden in der Stadt. Außerdem lief sie dort nicht Gefahr, sofort jemandem über den Weg zu gehen.
Wenn sie es jedoch genau bedachte, war es vielleicht ein Fehler, Greenes Laden zu meiden, in dem es Haushaltswaren und Handwerkerbedarf gab. Zumindest zog sie sich möglicherweise die Missbilligung der hiesigen Einwohner zu. Ihre Großmutter hatte ihr beigebracht, wie wichtig es war, die Einzelhändler der Stadt zu unterstützen. Und der alte Ed Greene hatte den Laden schon geführt, bevor Kari geboren war.
New York war eine Großstadt, aber das bedeutete noch lange nicht, dass man dort völlig anonym lebte. Kari kannte die Leute, die in dem Chinarestaurant arbeiteten, in dem sie ein Mal pro Woche aß, und sie hatte ein freundschaftliches Verhältnis zu der Frau von der Reinigung. Aber diese Beziehungen waren nicht gewachsen, besaßen keine Geschichte wie die in Possum Landing.
Also überlegte sie es sich anders, fuhr doch in die Stadt zu Greenes Laden und parkte dort. Das alte Metallschild hing immer noch an seinem Platz, ebenso wie eine vergilbte Werbung für eine bestimmte Außenwandfarbe. Veraltete Werbeslogans klebten an den Schaufenstern.
Kari lächelte und wusste, dass sie sich wappnen musste, wenn sie heute nur mit der Farbe nach Hause kommen wollte. Sie erinnerte sich immer noch an den kupfernen Wetterhahn, den ihre Großmutter eines Nachmittags mit nach Hause gebracht hatte. Sie hatte es sich nicht erklären können, wie Ed es geschafft hatte, ihr diesen Hahn zu verkaufen.
Kari zog ihre Liste aus der Handtasche und war
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