JULIA FESTIVAL Band 98
fest entschlossen, stark zu bleiben. Sie stieg die knarrenden Stufen zur Veranda hinauf und … trat ein in die Vergangenheit.
Alte Aktenschränke standen in der Nähe der Eingangstür. Sie enthielten vom Bleistift bis zum Schmirgelpapier, von Anweisungen zur Rasenpflege bis hin zu exotischen Grassamen alles, was das Herz begehrte. Zur Rechten befand sich eine lange hölzerne Theke, hinter der sich in Regalen Werkzeuge aller Art und Größe befanden. Der Laden roch nach Staub, geschnittenem Holz und Lacken. Einen Moment lang hatte Kari das Gefühl, wieder acht Jahre alt zu sein.
„Kari?“ Die weibliche Stimme war ihr vertraut. Kari drehte sich um und sah Edie Reynolds aus dem Hinterraum auf sich zukommen. Gages Mutter war eine große, dunkelhaarige Frau, die immer noch attraktiv und anziehend war. Als sie Kari erreichte, lächelte sie herzlich und zog sie in die Arme.
„Ich habe schon gehört, dass du wieder in der Stadt bist“, sagte sie, als sie einen Schritt von Kari zurücktrat. „Wie geht es dir? Du siehst großartig aus.“
„Sie auch“, gelang es Kari zu sagen. Edie hatte gewusst, dass ihr Sohn sie vor acht Jahren heiraten wollte, und hatte sicherlich mitgelitten, als Kari Gage damals das Herz gebrochen hatte. Doch offensichtlich hatte Edie sich entschieden, die Angelegenheit zu vergessen und ihr zu vergeben.
Gages Mutter zog einen Stuhl heran, setzte sich und bat Kari, das Gleiche zu tun. „Erzähl mir alles“, forderte die ältere Frau Kari auf. „Du wohnst im Haus deiner Großmutter, nicht wahr?“ Sie lächelte. „Eigentlich ist es ja jetzt dein Haus.“
„In meinen Gedanken ist es auch noch ihr Haus“, gab Kari zu. „Ich möchte es renovieren und verkaufen. Deswegen bin ich hier. Aber dafür brauche ich einige Dinge.“
„Wir haben genug von allem.“ Edie lachte. „Du warst also in New York. Hat es dir dort gefallen? Gage hat mir einige deiner Fotos gezeigt. Du warst in fast allen bedeutenden Journalen.“
„Ich habe als Model ganz gut verdient, aber es ist nicht die internationale Karriere geworden, die ich mir erhofft hatte. Also bin ich aufs College gegangen. Ich habe gerade die Prüfung fürs Lehramt abgelegt.“
„Das freut mich für dich.“ Edie sah sich im Laden um. „Wie du sehen kannst, hat sich hier und auch in Possum Landing nicht viel verändert.“
Kari wusste nicht, ob sie ihr zustimmen sollte oder nicht. Manche Dinge schienen verändert zu sein, während andere – wie ihre Reaktion auf Gage – noch genauso waren wie früher.
„Dass Sie hier arbeiten, ist neu“, meinte Kari. „Ich kann mich noch daran erinnern, dass der alte Greene immer allein im Laden stand.“
„Dieser alter Fuchs“, bemerkte Edie liebevoll. „Ich nahm den Teilzeitjob ein Jahr nach Ralphs Tod an. Nicht wegen des Geldes. Ralph hat mich gut versorgt, aber ich musste unbedingt ein paar Stunden am Tag raus aus dem Haus. Die Decke schien mir auf den Kopf zu fallen.“
„Das mit Ralph tut mir sehr leid“, meinte Kari.
Edie seufzte. „Er war ein guter Mann. Ich vermisse ihn immer noch.“ Sie lächelte. „Wahrscheinlich hast du schon die Neuigkeiten von meiner bevorstehenden Hochzeit gehört und kannst mich jetzt nicht verstehen, nicht wahr?“
„Nein, so ist es nicht. Im Gegenteil. Ich finde es wundervoll, dass Sie noch mal einen Partner gefunden haben.“
„Wir haben uns hier im Laden kennengelernt“, erzählte Edie mit glänzenden Augen. „Er hat sich Nägel gekauft und war mir auf Anhieb sympathisch. Er kam wieder und lud mich zum Essen ein, und irgendwie wusste ich, dass mehr als ein Flirt daraus werden würde.“
Kari beneidete Edie um ihren Instinkt. Sie war hin und wieder mit Männern ausgegangen, aber irgendwie hatte sie nie den Richtigen gefunden. Nur bei Gage war es anders gewesen, aber das war auch schon viele Jahre her.
„Wann findet die Hochzeit denn statt?“, fragte Kari.
„Im Herbst. Ich kann es kaum erwarten.“
„Das hört sich wundervoll an.“
„Ja. Doch jetzt haben wir genug von mir gesprochen. Erzähl mir von dir. Ich wette, dass du nicht erwartet hast, mit einem Bankraub willkommen geheißen zu werden.“
Kari nickte. „Ich bin in New York nie mit Kriminalität in Berührung gekommen, aber kaum bin ich einen Tag in Possum Landing, schon hält mir ein Gangster eine Pistole an den Kopf.“ Sie legte eine Hand auf Edies Arm. „Gage war wirklich sehr mutig.“
„Ich weiß. Ich finde es schrecklich, dass er sich so in Gefahr bringt. Aber er
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