JULIA FESTIVAL Band 98
man das Kind von einem Pfarrer ist, fühlt sich jeder verantwortlich, einen auf den rechten Pfad zu führen. Ich hatte nicht eine Mutter, sondern fünfzig. Bevor ich auch nur was Schlechtes denken konnte, wurde schon mein Dad unterrichtet.“
„Aha.“ Kevin wandte sich wieder dem Ballspiel zu und versuchte, nicht auf sie zu hören.
„Und deswegen weiß ich diese Kneipensache nicht.“
„Welche Kneipensache?“, hakte er unwillkürlich nach.
„Dass dies hier keine Kneipe ist, in die man seine Begleiterin mitnimmt. Ich übe, schlimm zu sein.“
Er horchte auf und drehte sich zu ihr um. „Schlimm?“
„Darauf kannst du wetten.“ Sie leerte ihr Glas und strahlte den Barkeeper an. „Ich möchte noch eins. Es war großartig.“ Sie wandte sich wieder an Kevin. „Ich wünschte nur, ich könnte so ein Schirmchen kriegen.“
Das interessierte ihn weniger. „Was meinst du mit schlimm?“
„Ungezogen. Ich war es noch nie. Deshalb will ich es auf der Fahrt nach Hawaii sein.“ Sie blickte sich um, wie um sich zu überzeugen, dass niemand zuhörte. „Als ich vor drei Tagen von zu Hause weggefahren bin, hatte ich noch nie Alkohol getrunken.“
„Du machst Witze“, murmelte er.
Sie schüttelte den Kopf. „Also bin ich am ersten Abend in eine Bar gegangen.“ Sie biss in ein Kartoffelstück und kräuselte die Nase. Lachfältchen erschienen in ihren Augenwinkeln. Sie schluckte und fuhr fort. „Es war furchtbar. Ich habe mich total fehl am Platz gefühlt, und als ein Mann mich angelächelt hat, bin ich zur Tür rausgerannt. Gestern war es schon besser.“
„Dein zweites Mal in einer Bar?“
„Ja. Ich habe Weißwein getrunken, aber ich muss sagen, dass er mir überhaupt nicht geschmeckt hat. Aber beinahe hätte ich mit wem geredet.“
Großartig, dachte er.
Der Barkeeper stellte ihr die Margarita hin. „Wollen Sie einen Deckel?“
Haley presste einige Sekunden lang die Lippen zusammen. „Vielleicht.“
„Ja, einen Deckel“, sagte Kevin und fragte Haley: „Möchtest du eine eigene Portion Pommes?“
„Okay. Mit viel Salz, bitte.“
Als sie wieder allein waren, erklärte er ihr: „Ein Deckel bedeutet, dass alles aufgeschrieben wird, was du verzehrst. Du zahlst dann zum Schluss alles zusammen statt einzeln.“
Sie riss die blaugrauen Augen auf. „Das ist ja so cool!“
Er hatte den Eindruck, dass die Welt eine Überraschung nach der anderen für sie bereithielt. Er musterte ihre helle Haut, ihr strahlendes Lächeln, ihren vertrauensseligen Blick. Sie war keine Frau, die man allein auf die Straße lassen sollte. „Du solltest lieber nach Ohio zurückfahren.“
„Auf keinen Fall.“ Sie nahm einen großen Schluck aus ihrem Glas. „Ich habe mein ganzes Leben lang getan, was alle anderen mir befohlen haben. Jetzt tue ich nur noch, was ich selbst will.“ Ihre Miene wurde nachdrücklich. „Du kannst dir ja gar nicht vorstellen, wie das ist. Ich kann nie meine Meinung sagen. Wenn ich es versuche, werde ich ignoriert. Niemanden interessiert, was ich denke oder was ich will.“
„Und deshalb läufst du weg?“
„Genau.“ Sie griff nach einem Kartoffelstück und legte es zurück auf den Teller. „Woher weißt du denn, dass ich weglaufe?“
„Du gehörst nicht zu den Frauen, die vorsätzlich in Lokale wie dieses gehen.“
Sie drehte sich zu den heruntergekommenen Gästen um und zuckte die Achseln. „Ich wollte neue Erfahrungen sammeln.“
„Wie Papierschirmchen in den Cocktails?“
Sie lächelte. „Genau.“
Er musste sich eingestehen, dass es ein großartiges Lächeln war. Ihr ganzes Gesicht leuchtete auf. Er hätte ihr Alter auf Mitte zwanzig geschätzt, aber in gewisser Hinsicht benahm sie sich eher wie ein Teenager. Zweifellos hing es damit zusammen, dass sie die Tochter eines verwitweten Pfarrers war.
Er spielte mit dem Gedanken, ihr ans Herz zu legen, das nächste Mal eine neue Erfahrung in einer anständigen Bar zu suchen. Aber dann rief er sich in Erinnerung, dass er sich nicht engagieren wollte. Er hatte schon genug eigene Probleme.
„Das heißt nicht, dass ich das Piano nicht mag.“
„Was?“
„Das Piano. Ich spiele. Es wurde von mir verlangt. Ich spiele auch Orgel, aber nur ein paar Hymnen und nicht so gut.“
„Aha.“ Kevin nahm seinen Burger und begann zu essen.
„Die Musik ist großartig. Aber ich wollte Lehrerin werden.“
„Dein Vater war dagegen?“
Sie seufzte. „Er würde nie geradeheraus Nein sagen. Das ist nicht seine Art. Aber da war ein
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