JULIA FESTIVAL Band 98
gewisser subtiler Druck. Der ist viel schwerer zu bekämpfen. Gegen eine direkte Aussage kann man argumentieren. Aber vage Andeutungen nimmt man irgendwie hin, bis man eines Tages aufwacht und sich an einem Ort wiederfindet, an dem man nicht sein will.“
Haley nahm erneut einen Schluck. Der Barkeeper stellte ihr einen Teller mit Pommes hin, und sie lächelte als Dank.
Kevin aß seinen Hamburger auf und dachte an Flucht.
„Soll ich dir zurückgeben, was ich genommen habe?“ Sie deutete auf seinen Teller.
„Nein danke.“
„Du bist also US Marshal . Was tust du da so?“
„Ich habe gerade einen Gefangenen hier im Staatsgefängnis abgeliefert.“
Sie riss die Augen auf. „Hier gibt es ein Gefängnis?“
„Hast du die Schilder nicht gesehen, die darauf hinweisen, dass man keine Anhalter mitnehmen soll?“
„Sicher, aber ich habe es für einen Scherz gehalten. Du weißt schon, einen Gag für Touristen.“
„Das hier ist eigentlich keine Tourismuszone. Die meisten Leute fahren nur durch.“
Sie blickte über die Schulter, beugte sich dann näher und flüsterte: „Die Leute hier kennen Gefangene?“
Er stöhnte. „Haley, bist du vorher jemals aus deinem Heimatdorf weggekommen?“
„Natürlich. Ich war vier Jahre im Baptistenmädchenpensionat.“
„Und danach?“
„Ich bin wieder nach Hause gegangen und habe Musik und Erziehungswissenschaft studiert. Ich habe das Examen mit Auszeichnung abgelegt.“ Sie griff nach ihrem Glas und verpasste den Stiel um mehrere Zentimeter. Sie spreizte die Finger. „Meine Haut fühlt sich so komisch an, und meine Wangen glühen.“
Kevin fluchte insgeheim. Er blickte von ihrem fast leeren Glas zum Barkeeper, der Gläser mit einem schmutzigen Handtuch abtrocknete. „Doppelte?“
Der alte Mann grinste. „Dachte mir, Sie wollten schnell zur Sache kommen.“
Perfekt. Einfach perfekt. Die abstinente Pfarrerstochter hatte in einer guten halben Stunde praktisch vier Tequila zu sich genommen. Die volle Wirkung des Alkohols würde erst in etwa zwanzig Minuten einsetzen. Kevin hätte einen Wochenlohn darauf verwettet, dass sie keine dreißig Sekunden später auf dem Boden liegen würde.
Er warf ein paar Geldscheine auf den Tresen und stand auf. „Komm, Haley, ich bringe dich hier raus, solange du noch stehen kannst. Hast du ein Motelzimmer?“
Sie blinzelte. „Ich kann gehen.“
„Sicher. Warum versuchst du es nicht?“
Sie trug die hässlichsten cremefarbenen Schuhe, die er je gesehen hatte, aber zumindest waren die Absätze niedrig. Als sie vom Hocker glitt, stand sie lange genug gerade, um ihm Hoffnung zu machen. Vielleicht hatte er sich geirrt. Vielleicht …
Sie schwankte so weit nach links, dass sie beinahe umfiel. „Bin ich betrunken?“ Sie klang entzückt. „Der Raum dreht sich. Wow! Das ist so cool!“
Ja, für sie war offensichtlich alles cool. „Hast du ein Motelzimmer?“, wiederholte er betont langsam und deutlich.
„Ja. In dem pinkfarbenen Haus. Mir hat die Farbe gefallen. Es ist da drüben. Draußen.“ Sie deutete zum Ausgang und fiel beinahe auf das Gesicht.
Kevin biss die Zähne zusammen. „Leg einen Arm um meine Schultern“, wies er sie an und schlang einen Arm um ihre Taille. Als Erstes spürte er ihre Wärme, als Zweites ihre Rundungen, die gewaltige Reaktionen seines Körpers auslösten.
Anstatt zu gehorchen, sank sie einfach an ihn. „Du riechst gut“, murmelte sie, als er sie zur Tür schleifte.
„Danke.“
Er wollte sie in ihr Zimmer bringen und verschwinden. Vermutlich würde sie in Sekundenschnelle einschlafen und am nächsten Morgen mit einem riesigen Kater erwachen, der sie davon kurierte, je wieder eine Margarita anzurühren. Sie hatte es bisher ohne ihn geschafft und würde auch ohne seine Hilfe da ankommen, wohin sie wollte.
Leider gelang es ihm nicht besonders gut, sich einzureden, dass er nicht für sie verantwortlich war.
Sie traten hinaus in die schwüle Abendluft. Haley atmete tief ein und drehte sich zu ihm um. Ihr Kopf ruhte an seiner Schulter, ihr Mund war wenige Zentimeter von seinem entfernt, ihre Haare kitzelten seine Wange.
Sie befeuchtete sich die Lippen mit der Zungenspitze. „Willst du mich jetzt ausnutzen?“
„Wie bitte?“
Sie lächelte. „Ich hätte nichts dagegen.“
2. KAPITEL
Kevin bemühte sich, das Verlangen zu unterdrücken, das Haleys unverhohlene Worte in ihm ausgelöst hatten. Dass er sich zu ihr hingezogen fühlte, hatte nichts zu bedeuten. Nicht unter den gegebenen
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