JULIA FESTIVAL EXTRA WEIHNACHTSBAND Band 03
Telefon war er mir vollkommen gleichgültig. Ist das nicht furchtbar?“
„Nein, ist es nicht. Du hast dich eben verändert, dir neue Ziele gesteckt. Außerdem bist du müde, verwirrt und machst dir Sorgen. Man kann aber immer nur ein Problem nach dem anderen bewältigen“, fügte Steven hinzu. „Trinkst du den Kaffee noch aus?“
„Nein. Er ist schon kalt“, meinte Selina gedankenverloren.
„Dann komm“, forderte er sie auf.
„Wohin gehen wir? Zurück zu Robbie?“
„Nein. Wir fahren nur aufs Land, zum Essen. Robbie wird noch eine ganze Weile schlafen. Und du brauchst unbedingt frische Luft. Wir kommen heute Abend wieder her.“
Überglücklich, dass jemand für sie entschied, ging Selina mit Steven hinaus.
Steven und Selina aßen in einem Landgasthof zu Mittag und fuhren danach weiter. Selinas Gedanken kreisten um Paul und ihre seltsame Reaktion, sodass sie nicht bemerkte, wohin die Fahrt ging. Erst als Steven den Wagen anhielt und die Handbremse anzog, schaute sie auf.
„Wo sind wir?“, fragte sie überrascht und betrachtete leicht verwirrt das große Haus vor ihnen. Sie wandte den Kopf und ihr Blick fiel auf etwas, das aussah wie eine Scheune.
„Das ist Nathans Haus. Oder besser gesagt, mein Haus. Möchtest du dich ein wenig umsehen?“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, stieg Steven aus, ging um das Auto und hielt Selina die Tür auf.
„Es ist schon ziemlich alt, nicht wahr?“, erkundigte sie sich, während sie ausstieg und an der steinernen Fassade hochblickte. Das rechteckige Gebäude hatte nach vorn fünf Fenster, drei oben und je eins zu beiden Seiten der alten, schweren Eingangstür.
„Ja, es wurde siebzehnhundertachtundfünfzig gebaut. Es muss noch einiges daran getan werden. Komm.“ Steven fasste Selina beim Ellenbogen und führte sie den holprigen, mit Unkraut übersäten Kiesweg entlang zur Tür.
„Hast du hier gelebt?“, fragte Selina. Sie ging hinein und blieb dann verblüfft stehen. Von außen sah das Haus unheimlich, nicht gerade einladend aus. Doch drinnen musste man sich einfach wohl fühlen. Ein breiter Flur führte zur Küche, von beiden Seiten ging je eine Tür zu den Wohnzimmern ab, und eine wunderschöne Eichentreppe schwang sich hinauf zum ersten Stock. „Hübsch!“, meinte sie leicht untertrieben.
„Ja. Möchtest du es dir anschauen?“ Wieder wartete Steven nicht erst, bis Selina antwortete, sondern nahm sie gleich mit zu einer Besichtigungstour.
Die beiden Wohnzimmer hatten hohe Decken, die Möbel waren alt und bis auf ein oder zwei schöne Stücke ziemlich abgenutzt. Die riesige Küche war renoviert und mit modernen, maßgefertigten Einbauschränken ausgestattet worden.
Im ersten Stock lagen fünf Schlafzimmer und zwei Bäder. In dem Raum, der früher Stevens Zimmer gewesen war, sah Selina sich neugierig um und versuchte, sich Steven als kleinen Jungen vorzustellen.
„Wie alt warst du, als du hierherkamst?“, fragte sie.
„Vierzehn.“
„Vierzehn?“, rief Selina erstaunt. „Ich dachte, du wärst noch ein kleines Kind gewesen?“
Seltsam lächelnd, ließ Steven eine Hand über das Bettgestell aus Messing gleiten. „Nein. Nathan hatte mich dabei erwischt, wie ich in die Scheune einbrechen wollte. Ich war aus dem Heim weggelaufen, schlug mich so durch. An jenem Tag regnete es, ich war müde, halb erfroren und hatte Hunger. Nathan muss damals um die fünfzig gewesen sein, ein großer, kräftiger Mann. Er nahm mich mit ins Haus, steckte mich in die Badewanne, gab mir zu essen und brachte mich dazu, ihm zu erzählen, warum ich weggelaufen war.“
Steven hob den Blick und begegnete Selinas. „Im Heim gehörte ich immer zu den Stärksten, und die anderen mussten tun, was ich wollte. Die Lehrer wurden nicht fertig mit mir, also ließen sie mich die meiste Zeit in Ruhe. Oh ja, sie hielten mir Strafpredigten, aber keiner hat mich wirklich hart angefasst. Und das war ein Fehler, Selina.“
Steven machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „Zuerst dachte ich, Nathan wäre ebenfalls so einer, der meine Seele retten wollte, und ich begegnete ihm mit all der Verachtung, zu der ein Vierzehnjähriger fähig ist. Er hat mich behandelt wie einen Hund“, erzählte Steven weiter und lächelte in Erinnerung an jene Zeit. „Wenn ich artig war, wurde ich gelobt und bekam zu essen. Wenn ich mich danebenbenahm, hat er sich mich vorgeknöpft …“
„Warum bist du bei ihm geblieben?“, fragte Selina erstaunt. „Das Jugendamt hätte dich doch sicher nicht einem
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