JULIA FESTIVAL EXTRA WEIHNACHTSBAND Band 03
genau wie Robbies Augen, die dunklen Haare, die in die breite Stirn fielen, ebenso wie bei Robbie. Selbst das Lächeln war Selina vertraut. Sie drehte das Foto um und las den Namen, der auf die Rückseite geschrieben war. Lester Voight.
Langsam legte sie das Bild zur Seite und wandte sich wieder dem Buch zu. Sie wollte es in den Karton zurücklegen, so tun, als hätte sie es nie gesehen …
Es blieb beim Vorsatz. Nervös schlug sie die erste Seite auf. „Für Robbie“, las sie, „wenn er alt genug ist zu verstehen und zu verzeihen. Und für Selina, deren Liebe mir das Sterben leichter gemacht hat.“
Tränen in den Augen, suchte Selina nach einem Taschentuch. Sie atmete tief durch und las rasch, fast als stünde sie unter Zwang, eine Seite nach der anderen, bis ein ihr wohlbekannter Name auftauchte: Steven Howe.
Eine Stunde später legte Selina das Foto zurück, klappte das Tagebuch zu und dachte nach. Die vielen Einzelteile setzten sich langsam zu einem Mosaik zusammen. Das meiste hatte sie nur überflogen, richtig gelesen hatte sie nur die Stellen, die bewiesen, dass Robbie nicht Stevens Sohn war.
Arme Julie, dachte Selina betrübt. All die Spaziergänge im Park, um nachzudenken, Pläne für die Zukunft zu schmieden – wie Julie erklärt hatte –, waren in Wirklichkeit Treffen mit Lester Voight gewesen. Er war aus Mittelengland gekommen, um an einem Managementkurs teilzunehmen. Julie verliebte sich in ihn, glaubte, er würde ihre Gefühle erwidern, sonst wäre sie nie mit ihm in sein Hotelzimmer gegangen, hätte nie mit ihm geschlafen. Später bekam sie heraus, dass er verheiratet war, nahm sogar den Anruf seiner Frau entgegen …
Nachdenklich blickte Selina auf das Buch in ihren Händen. Deshalb war Julie Hals über Kopf ausgezogen, darum hatte sie das Telefon abgemeldet – damit Lester sie nicht erreichen konnte. Jetzt lebte er in Deutschland mit seiner Frau und drei Kindern. Wusste er von Robbies Existenz? Nein, wohl kaum. Selina konnte sich nicht vorstellen, dass Julie ihm irgendetwas darüber erzählt hatte. Aber er musste Julie geschrieben haben. Wie hätte sie sonst erfahren, dass er in Deutschland lebte.
Jetzt war Selina auch klar, warum Julie an jenem Tag mit Steven getrunken hatte und schließlich in seinem Bett gelandet war – allerdings nicht, um ihn zu lieben. Julies Aufzeichnungen zufolge hatte Steven sie nicht einmal angefasst, sondern war sofort eingeschlafen. Sag Steven nicht, dass Robbie sein Sohn ist – weil er gar nicht sein Sohn sein konnte.
Steven war ein Mann voller Energie, gütig, aufregend, fordernd, arrogant, liebenswert. Jedoch nicht Robbies Vater. Wenn er sie, Selina, wenigstens liebte, dann bestünde vielleicht noch Hoffnung für eine gemeinsame Zukunft. Aber so …
Sie würde ihm einfach nichts erzählen, das Tagebuch und das Foto verbrennen – und falls Lester Voight irgendwann einmal auftauchen sollte, würde sie sich ahnungslos stellen. Nein, unmöglich. Doch sobald Steven Bescheid wusste, würde er sie verlassen. Für immer. Und das könnte sie nicht ertragen.
Er braucht die Wahrheit niemals zu erfahren, flüsterte ihr eine innere Stimme zu. Wem würde das schaden? Selina kämpfte gegen ihre Aufregung an und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Sie musste Steven die Wahrheit sagen. Warum?
In diesem Moment wurde die Haustür zugeschlagen, Schritte hallten in der Diele wider und machten an der Treppe Halt.
„Selina?“
Unfähig zu antworten oder sich zu bewegen, blieb Selina sitzen und blickte gebannt zur Tür. Sie hörte, wie Steven leise vor sich hin fluchte, die Wohnzimmertür öffnete und wieder schloss, in der Küche nachsah und schließlich ungeduldig die Treppe hinaufkam.
Ohne weiter darüber nachzudenken, warf Selina das Tagebuch zurück in den Karton und schob ihn unters Bett. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, während sie sich auf den Boden kniete, um die Bücher aufzusammeln, die sie aussortiert hatte.
„Selina? Wo bist du denn nur? Hast du mich nicht rufen hören?“, fragte Steven ungehalten und blieb an der Schlafzimmertür stehen. Als er jedoch Selinas blasses, verweintes Gesicht sah, wurde er sofort sanfter.
„Selina? Was ist los? Geht es um Robbie?“
Selina hatte sich von dem Schock noch nicht erholt. Sie schüttelte den Kopf, packte einen Arm mit Büchern voll und stand auf. „Die muss ich wegwerfen“, sagte sie unzusammenhängend.
„Julies Bücher?“, riet Steven.
Selina schaute ihn nur schweigend an. Sag es ihm! regte sich ihr
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