Julia Gold Band 47
Shay ihr keine Nachricht hinterlassen?
Nach zwei missglückten Versuchen konnte sie aufstehen, sich anziehen und zur Tür gehen. Es wäre ein Wunder, wenn sie den Hügel überwinden könnte, ohne sich den anderen Knöchel zu verletzen, aber sie konnte auch nicht hierbleiben. Shay mochte zwar ihr Herz gebrochen haben, aber sie hatte immer noch ihren Stolz.
„Aber Mom, du kennst ihn nicht so wie ich. Der Mann ist unmöglich.“ Jessicas ärgerliche Stimme war im Flur zu hören, und Livy fluchte leise. Sie hatte gehofft, Jessica allein im Büro zu treffen.
„Ich kenne Nick Grayson schon seit seiner Geburt“, entgegnete Vi lächelnd. „Das heißt, ich kenne ihn verdammt gut.“
„Nun, er behandelt dich auch viel besser als mich“, murmelte Jessica. „Es ist unglaublich, dass ihr mich zwingt, mit ihm in Dallas zu arbeiten.“
Livy stöhnte. Jetzt belauschte sie schon zum zweiten Mal unabsichtlich ein Gespräch. Sie wollte sich gerade umdrehen, als sie eine Tür hörte. Egal wer es war, sie wollte niemanden außer Jessica sehen, also versteckte sie sich. Leider konnte sie Jessicas Unterhaltung mit ihrer Mutter immer noch hören.
„Wir zwingen dich nicht, mit Nick zu arbeiten“, konterte Vi. „Du sollst es nur versuchen. Du weißt, dass dein Vater hofft, dass du eines Tages seinen Platz bei Coleman-Grayson einnimmst, aber du musst noch mehr über das Unternehmen lernen. Nick kann dir dabei helfen.“
Jessica wollte protestieren, aber Vi unterbrach sie. „Warte, bevor du etwas sagst. Wir schlagen dir eine dreimonatige Probezeit ab Oktober nach den Pferdeschauen vor. Wenn es nicht funktioniert, lassen wir dich in Ruhe.“
Livy freute sich über das kurze Schweigen und lehnte sich gegen die Wand. Jessica wäre jetzt nicht in der Stimmung, sich ihre Probleme anzuhören. Ihre Freundin hatte sich schon so oft über Nick beschwert, dass Livy vermutete, dass sich zwischen den beiden etwas entwickelte. Natürlich hatte Jessica das verneint. Nick war genauso stur.
„Nur drei Monate?“, wollte Jessica wissen. „Dann werdet ihr mich nicht mehr mit Nick nerven?“
„Schätzchen, es geht nicht um Nick, sondern um Arbeit“, erwiderte Vi.
Livy zuckte zusammen. Sie konnte sich Jessicas tomatenrotes Gesicht gut vorstellen.
„Natürlich“, murmelte Jessica. „Drei Monate werde ich schon schaffen. Können wir jetzt über das Budget reden?“
Niemand war durch den Flur gegangen, seit sie die Tür gehört hatte, und Livy schaute sich vorsichtig um. Nur Mickey wusste, dass sie hier war, denn er hatte sie mitgenommen. Er hatte ihr versprochen, keinem zu verraten, wo sie war.
Wieder dachte sie an die vergangene Nacht. Er hatte ihr gesagt, dass sie immer zusammenbleiben würden und dass er sie liebte. Vielleicht irrte sie sich auch. Aber warum hatte er keinen Zettel hinterlassen?
Leider hatte sie diese Illustrierten gelesen, die Mickey ihr gezeigt hatte. Darin waren Bilder mit eleganten Frauen, die mit Sharif zusammen gewesen waren und die er verlassen hatte. Damals hatte Livy nicht besonders auf die Zeitschriften geachtet, die sie schrecklich fand, aber jetzt dachte sie an Sharifs Frauengeschichten.
Wie konnte sie nur glauben, dass er an ihr interessiert war? An der einfachen Olivia Smith, die nicht einmal ihren richtigen Namen kannte, weil ihre Eltern auch keine Nachricht hinterlassen hatten.
Zu ihrem Schreck schluchzte sie auf und fiel fast hin. Gerade rechtzeitig konnte sie die eine Krücke fassen, bevor sie gegen die Wand sank. Fluchtbereit drehte sie sich um und stieß fast mit Rose zusammen.
„Livy? Was machst du hier?“
„Ich habe Jessica gesucht, aber sie ist beschäftigt.“
Besorgt sah Rose sie an. „Geht es dir gut?“
„Sicher.“ Livy versuchte zu lachen.
Rose wirkte nicht überzeugt. „Du siehst blass aus“, meinte sie, und Livy zuckte mit den Schultern. „Nun …“ Rose zog die Brauen zusammen und blickte auf ein Stück Papier in ihrer Hand. „Ich suche Sharif, hast du ihn gesehen?“
Zuerst konnte Livy nicht reden. „Heute noch nicht“, erwiderte sie schließlich, wobei ihre Stimme unnatürlich klang.
Unentschlossen zog Rose die Stirn in Falten. „Komm, Livy, lass uns in mein Zimmer gehen. Wir müssen einmal reden.“
Sharif stürzte wie ein wütender Stier in den Hausflur. Niemand zu sehen. Wo waren alle?
Wo zum Teufel war Olivia?
Er ging ins Bad im ersten Stock und wusch sich mit kaltem Wasser das Gesicht. Sharif war verschwitzt, jedoch eher vor Aufregung als wegen der
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