Julia Gold Band 47
aufwachen werde? fragte sie sich beklommen. Sie befanden sich schließlich im England des zwanzigsten Jahrhunderts, im Zeitalter der Emanzipation der Frau. Wie war es da möglich, dass sie, Polly, eine Vernunftehe mit einem Mann eingehen sollte, den sie überhaupt nicht kannte?
„Der Wagen hält … er hat eine Flagge auf der Kühlerhaube. Das sind sicher die Farben der Königsfamilie von Dharein“, hielt Maggie ihre älteste Schwester aufgeregt auf dem Laufenden. „Der Chauffeur steigt aus … oh, er hat schwarzes Haar … er sieht wirklich wie ein Araber aus … jetzt öffnet er die hintere Wagentür …“
„Um Himmels willen, hör endlich auf!“ Polly entfuhr ein Schluchzer, der ihre Schwester erschrocken verstummen ließ. Schuldbewusst biss sich Maggie auf die Unterlippe und sah zu, wie Polly sich in einen abgewetzten Kinderzimmersessel sinken ließ und die Hände vors Gesicht schlug.
„Er trägt gar kein wallendes Gewand“, bemängelte Joan.
„Sei still!“ Maggie knuffte sie mit dem Ellenbogen in die Seite. „Polly fühlt sich nicht gut.“
Joan betrachtete ihre älteste Schwester mit unverhülltem Entsetzen. „Du kannst doch nicht ausgerechnet jetzt krank werden! Daddy wäre ruiniert, und Mummy hat vor Stolz schon total abgehoben!“
„Polly!“, rief Maggie unvermittelt. „Raschid sieht super aus! Wirklich!“
„Prinz Raschid“, berichtigte Joan sie herablassend. „Von einem Mann wie ihm darf man nicht gleich so plumpvertraulich sprechen.“
Maggie strafte ihre Schwester mit einem vernichtenden Seitenblick. „Du meine Güte, er wird doch schließlich unser Schwager!“ Polly zuckte zusammen. Ihre Schläfen pochten, und trotz der Tabletten, die sie genommen hatte, wurden ihre Kopfschmerzen noch schlimmer. Der Vormittag hatte kein Ende nehmen wollen. Beim Mittagessen waren alle ungewohnt schweigsam gewesen, und Polly hatte keinen Bissen hinuntergebracht. Ihr Vater auch nicht. Er hatte den hilflos anklagenden Ausdruck in Pollys Augen offenbar nicht mehr länger ertragen können, denn er war noch vor dem Nachtisch in sein Arbeitszimmer verschwunden.
Tröstend legte Maggie Polly die Hand auf die Schulter. „Er sieht wirklich toll aus. Ehrenwort.“
„Warum kann er sich dann nicht bei sich zu Hause eine Frau kaufen?“ Polly schnäuzte sich die Nase. Erneut drohten die Nerven mit ihr durchzugehen.
„Zischt ab!“, forderte Maggie Joan und Elaine streng auf. „Und sagt Mutter ja nicht, dass Polly heult.“
Die praktisch veranlagte Joan runzelte die Stirn. „Warum weint sie denn überhaupt? Sie wird doch Prinzessin. Da würde ich bestimmt nicht flennen, sondern vor Freude Luftsprünge machen.“
„Dein Pech, dass du nicht die Älteste bist.“ Maggie hielt ihren Schwestern unmissverständlich die Tür auf.
Die beiden Jüngsten räumten murrend das Feld.
Polly schämte sich ihres Gefühlsausbruchs. Fahrig strich sie sich das blonde Haar aus dem Gesicht und wischte sich die Augen. „Weißt du, Maggie, irgendwie kann ich immer noch nicht glauben, dass es tatsächlich dazu kommt“, gestand sie. „Ich hatte die ganze Zeit über gehofft, dass er letztlich doch nicht auftaucht.“
„Dad sagt, so etwas könne ein Prinz sich nicht leisten. Ein Versprechen zu halten, sei Ehrensache.“ Maggies Stimme klang jetzt gar nicht mehr so sicher. „Ist es nicht komisch, dass wir immer gelacht haben, wenn Dad mal wieder zum Besten gab, wie er König Reija das Leben gerettet hat, indem er eine Kugel abfing? Ich glaube, die Geschichte haben wir hundert Mal, ach was, tausend Mal gehört“, übertrieb sie schamlos, „und ich habe dich immer aufgezogen, dass du Raschids Zweitfrau wirst.“
Nun, inzwischen ist es kein Witz mehr, dachte Polly verzweifelt. Vor fünfunddreißig Jahren hatte Ernest Barrington als junger Diplomat an der englischen Botschaft in einem der Golfstaaten gearbeitet. Während dieser Jahre in Nahost hatte er seinen Urlaub dazu genutzt, Reisen in die Nachbarländer zu unternehmen.
Auf einer dieser Erkundungstouren war er in den südarabischen Wüstenstaat Dharein gelangt. Der kleine Staat wurde damals immer noch von Stammesfehden heimgesucht, und es ging dort fast noch unzivilisierter zu wie ein Jahrhundert zuvor. Auf dieser Reise war Pollys Vater erkrankt und hatte medizinische Hilfe in einem Nomadenlager gesucht, dessen Oberhaupt Prinz Achmed, der Bruder des Feudalherrschers König Reija, war.
Da Achmed dem jungen Engländer nicht helfen konnte, hatte der Prinz den Kranken
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