Julia Gold Band 51
zu ignorieren – Evie dagegen fand es erschreckend.
„Verschweigst du mir irgendetwas?“, hatte sie Raschid eines Abends gefragt, als er zum Essen nach Westhaven gekommen war. „Bin ich immer noch in Gefahr? Hast du deswegen all diese Sicherheitsmaßnahmen ergriffen?“
„Nein“, stritt er ab. „Aber ich lerne aus meinen Erfahrungen. Indem ich dich nur mit Asim in meiner Wohnung gelassen habe, habe ich deine Bedeutung für mich in den Augen jener entwertet, die Wert nach der Stärke des Schutzes bemessen.“
„Die arabische Mentalität?“
„Wenn du es so nennen willst. Doch diesen Eindruck habe ich jetzt richtiggestellt. Niemand wird es jemals wieder wagen, dir drohend zu begegnen.“
„Heißt das, dass jetzt doch jede Nacht ein Eunuch vor meiner Tür steht?“, fragte Evie spöttisch.
„Du scheinst ja ganz besessen von dieser Eunuchengeschichte zu sein“, hatte Raschid vielsagend geantwortet. „Gibst du dich vielleicht heimlichen Fantasien hin, wenn du nachts allein und einsam in deinem Bett liegst? Vielleicht als Strafe für mich, weil ich mich weigere, es mit dir zu teilen?“
Seine Enthaltsamkeit war eine weitere Sache, die Evie Sorgen machte. In den zwei Jahren ihrer Beziehung hatte Raschid ihr nie widerstehen können. Aber nun berührte er sie kaum noch. Was konnte er sich jetzt noch davon erhoffen, wo sie doch sowieso schon schwanger war? Bislang war er ihren diesbezüglichen Andeutungen und Fragen aus dem Weg gegangen.
Evie grübelte darüber nach, während sie nun in ihrem Hochzeitskleid vor dem Spiegel stand. „Wenn du an meiner Stelle wärst, Julian“, wandte sie sich plötzlich beschwörend an ihren Bruder, „würdest du einen Araber heiraten, der in einem muslimischen Staat lebt?“
„Ich dachte, wahre Liebe könnte alles besiegen“, antwortete er neckend.
Doch Evie war nicht in der Stimmung. „Seine Familie will mich nicht als seine Frau“, sagte sie nervös. „Sein Volk will mich nicht. Wer weiß, vielleicht bin ich auf dem besten Weg, für den Rest meines Lebens in Frauengemächern eingesperrt zu werden!“
„Oder du leidest ganz einfach an dem üblichen Lampenfieber vor der Hochzeit“, meinte Julian. „Komm schon, Evie!“ Er seufzte. „Jedermann weiß, was Raschid für dich empfindet. Wenn schon, dann würde er sich mit dir zusammen einsperren lassen!“
Und warum habe ich dann solche Zweifel? fragte sich Evie, als sie sich wieder dem Spiegel zuwandte.
Das Spiegelbild zeigte ihr eine Frau, die bemüht war, zwei verschiedenen Kulturen gerecht zu werden. Ihr Kleid war von einem Topdesigner entworfen worden, den Raschid extra nach Westhaven hatte einfliegen lassen. Das Ergebnis seiner Bemühungen war ebenso schlicht wie atemberaubend wirkungsvoll.
Evies Hochzeitskleid war eine lange, eng geschnittene Tunika nach arabischem Vorbild, hochgeschlossen mit langen, weiten Ärmeln aus schwerer altgoldener Seide. Ihr einziger Schmuck war eine schmale Reihe winziger Staubperlen, die auf der Vorderseite vom Ausschnitt bis zum Saum und rund um den kleinen Stehkragen aufgestickt war. Ein Scheitelkäppchen aus einem feinen Goldnetz, ebenfalls mit Staubperlen bestickt, sorgte für den besonderen Glanz. Auf Anraten des Designers trug Evie dazu ihr Haar offen, sodass es ihr in seidigen golden schimmernden Kaskaden bis weit über den Rücken fiel.
„Das mittelalterliche England begegnet dem geheimnisvollen Osten“, hatte Christina die Wirkung bewundernd beschrieben, bevor sie sich verabschiedet hatte, um mit Lucinda zum Standesamt zu fahren. Genau das hatte der Designer im Sinn gehabt, als er dieses Outfit für Evie entworfen hatte.
Doch was würde Raschid denken, wenn er sie sah? Eine Frau, die vielleicht ein wenig zu krampfhaft versuchte, die Kluft zwischen zwei Kulturen zu überbrücken?
Draußen wartete eine weiße Limousine in der immer noch warmen Sommersonne.
„Kopf hoch“, ermahnte Julian sie freundlich, als sie zusammen losfuhren. „Du gehst zu deiner Hochzeit, nicht zu deiner Beerdigung.“
Nur zu wahr, dachte Evie. Dennoch konnte sie das Gefühl nicht abschütteln, dass ein Schatten über ihr lastete, als der Wagen sich Hertford näherte. Ein Schatten von ganz bestimmter Gestalt: Raschids Vater. Seine Familie. Sein arabisches Volk. Nicht ein Vertreter dieser Seite würde heute anwesend sein. Oh, die Begründungen war allesamt überzeugend: Sein Vater war noch nicht kräftig genug für die weite Reise. Seine Schwester konnte nicht kommen, weil eins ihrer
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