Julia Gold Band 53
warme Fell des Tiers brachten die Erinnerungen zurück. „Er war mein Mann.“
Hassan brauchte einen Augenblick, um das zu verarbeiten. „Wie bitte?“, fragte er leise, als sie sich nicht weiter äußerte. „Sie sind geschieden?“
„Nein. Er ist gestorben.“ Wieder schwieg sie und konnte förmlich sehen, wie er mit sich kämpfte, ob er die Frage stellen sollte, die sich ihm aufdrängte. „Es war kein Reitunfall.“ Dann hätte sie nie mehr ein Pferd besteigen können. „Er hatte eine schwaches Herz, aber das hat er mir verschwiegen.“ Seit fünf Jahren war sie nicht mehr darauf zu sprechen gekommen. Sie hatte einfach weitergemacht und versucht, nicht daran zu denken. Geistesabwesend zog sie die Füße aus den Steigbügeln und glitt vom Pferd. „Eines Tages hörte sein Herz einfach auf zu schlagen.“
Hassan kam zu ihr herüber und übernahm beide Pferde. „Tut mir leid, Rose. Ich hatte keine Ahnung.“
„Das liegt lange zurück.“
Rose spürte, dass er sie ansah. „Nicht so lange. Sie sind eine junge Frau.“
„Es sind jetzt fast sechs Jahre.“ Sie nahm die Landschaft kaum wahr, weil sie an das Leben dachte, das sie möglicherweise mit Michael geführt hätte. Sicher hätten sie inzwischen Kinder gehabt, mit eigenen Ponys. Er hatte sie gefragt, ob sie sich Kinder wünschte, doch sie war noch nicht so weit gewesen. Sie hatte Michael ganz für sich haben wollen und geglaubt, sie hätten noch viel Zeit.
Ihre Augen wurden feucht, und Rose lehnte sich an einen Felsen. Sanft legte Hassan den Arm um sie und hielt sie umfangen.
„Sie können von Glück sagen, dass Sie einen Beruf haben, der die innere Leere ausfüllt“, gab er zu bedenken.
„Glauben Sie wirklich, dass man das mit Arbeit schafft? Dass beruflicher Erfolg ersetzen kann, was ich verloren habe? Ich habe ihn geliebt und er mich.“ Bedingungslos. Als Frau. Sie hatte Michael nichts beweisen, nicht mit ihm konkurrieren müssen. Bei ihm war sie einfach sie selbst gewesen.
Nachdenklich betrachtete Hassan sie. „Sagen Sie, sind Sie deshalb so furchtlos geworden … Weil Sie auch sterben wollten?“
Zorn stieg in ihr auf. Wie konnte Hassan es wagen, ihr Seelenleben durchleuchten zu wollen? Das hatte ihre Mutter jahrelang getan. Doch in seinen Augen lag kein belehrender, eher ein mitfühlender Ausdruck.
„Schon möglich“, flüsterte Rose und gestand es sich zum ersten Mal ein. „Vielleicht. Eine Weile.“
„Übereilen Sie nichts, Rose. Allah holt Sie, wenn er die Zeit für gekommen hält.“
„Das weiß ich.“ Sie rang sich ein Lächeln ab. „Einen Ruf erwirbt man schnell, aber es dauert lange, ihn wieder loszuwerden. Und meine scharfe Zunge hat mich zusätzlich in so manchen Schlamassel gebracht.“
Jetzt lächelte auch Hassan. „Das habe ich gemerkt.“
Sein warmherziger Ton brachte sie in die Gegenwart zurück. Was zählte, war das Heute. Das Jetzt. Und in diesem Augenblick spürte sie Hassans Hand an der Taille, und der Ausdruck in seinen Augen sagte ihr mehr als Worte. Gleich würde Hassan sie küssen.
Doch er tat es nicht. Rose spürte, dass er sich innerlich zurückzog, dann ließ er die Hand sinken und ging weiter.
Aber so leicht würde er nicht davonkommen. Sie wollte ihre Story schreiben, und es war Zeit, Material dafür zu sammeln. „Also“, sagte sie und folgte ihm. „Warum haben Sie Ihren Bart abgenommen?“
6. KAPITEL
Hassan lachte, amüsiert über den Wechsel von Selbsterkenntnis zum Angriff. „Wer sagt, dass ich je einen gehabt hätte? Das muss nicht sein, wissen Sie.“ Rose zog nur die Brauen hoch, als wollte sie ihn daran erinnern, dass er sie mit Klischees nicht abfertigen konnte. „Sie sind wie ein Terrier, der sich in etwas festbeißt“, beklagte er sich.
„Komplimente beeindrucken mich nicht, Hassan. Die habe ich alle schon gehört. Also, warum?“ Ihr lag daran, herauszufinden, wie dieser Mann wirklich war.
„Vielleicht bin ich einfach nur der geborene Rebell.“
„Das berüchtigte schwarze Schaf?“ Sie musterte ihn bedeutsam von Kopf bis Fuß. „Das sind Sie doch sowieso.“
„Ich war damals einundzwanzig“, erwiderte Hassan. „Ein Alter, in dem man das Feingefühl nicht gerade mit Löffeln gefressen hat. Und wenn etwas wirkt, warum sollte man es dann ändern?“ Er ging voran zu einem flachen Felsen, band die Pferde an einen buschähnlichen Baum und forderte Rose auf, sich zu ihm zu setzen. Dann bot er ihr aus einer Feldflasche, die er vom Sattel mitgenommen hatte, etwas zu
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