Julia Gold Band 53
Mann zu tun, der eigentlich Emir hätte werden sollen. Sie wollte es einfach nur wissen, war begierig darauf, alles über ihn zu erfahren. „Ich brauche möglichst viel Hintergrundmaterial“, sagte sie. „Die Verlage sind scharf auf solche Einzelheiten, weil die Leser es sind.“
„Das kann ich mir vorstellen.“
„Nein … So ist es nicht“, widersprach sie. „Sie sind einfach nur fasziniert von einem Leben, das so ganz anders ist als ihr eigenes.“
„Sollten Sie dann nicht ein Diktiergerät dabeihaben? Oder ein Notebook?“
„Normalerweise schon. Aber meine Tasche ist im Auto geblieben, als Sie mich mit Ihrer dringenden Einladung überrumpelt haben.“ Da Hassan den Vögeln weiter Brotstückchen zuwarf, fuhr Rose fort: „Keine Sorge. Ich schicke Ihnen eine Rohfassung, sodass Sie Fehler ausmerzen können. Schließlich möchte ich nichts bringen, das ihr peinlich sein könnte.“
Jetzt sah er sie an. „Ihr?“
„Ihrer Mutter.“
„Ach so. Möchten Sie selbst mit ihr sprechen? Nadeem könnte es arrangieren, wenn Sie möchten.“
„Übernimmt Nadeem alle Familienangelegenheiten?“
„Meine jüngere Schwester Leila wird voll von ihren Kindern beansprucht, und meine Mutter ist mit wohltätigen Aufgaben und gesellschaftlichen Verpflichtungen beschäftigt.“ Hassan zuckte die Schultern. „Nadeem war von vornherein anders. Sie bestand darauf, ein Internat in England zu besuchen, und hat in den Vereinigten Staaten Medizin studiert.“
„Und ihr Vater ließ sie gehen?“
„Ihre Mutter – unsere Mutter – hat ihn dazu überredet. Sie war auf seinen Wunsch hin mit meinem Vater in Schottland gewesen, denn sie konnte ihm nichts abschlagen. Dabei hatte sie gesehen, wie anders die Frauen dort leben.“
„Und das wünschte sie sich auch für sich?“
Das konnte er nicht beantworten. „Da müssen Sie sie selbst fragen. Natürlich haben alle Nadeem gewarnt, dass kein Mann sie heiraten würde, nachdem sie sich dem behüteten Leben im Kreis der Familie entzogen hätte.“
„Da war sie nicht die Einzige“, bemerkte Rose trocken.
Endlich lächelte Hassan. „Nein. Sie hatte eine ganze Schar Frauen im Schlepptau. Ihr Mann ist selbst Arzt und liberaler als die meisten Männer. Er erlaubt ihr sogar zu arbeiten.“
„Erlaubt ihr zu arbeiten? Erlaubt?“ Sie versuchte sich vorzustellen, wie ihre Mutter auf so viel Chauvinismus reagiert hätte. „Donnerwetter, das ist ja wirklich liberal!“
„Ihm blieb kaum eine andere Wahl. Nadeem hat sich geweigert, ihn zu heiraten, bis er damit einverstanden war. Sie leitet eine Frauenklinik in der Stadt.“ Hassan lächelte grimmig. „Bei Ihrer Stadtbesichtigung dürften Sie die Klinik bestimmt nicht zu Gesicht bekommen haben. Die Bedürfnisse einfacher Frauen nehmen auf Abdullahs Prioritätenliste einen ziemlich untergeordneten Platz ein.“ Er warf den Rest seines Mittagessens den Vögeln vor. „Erzählen Sie mir von Ihrem Mann.“
„Michael?“ Sie hätte gern mehr über Nadeem, die Klinik und seine Prioritäten erfahren und wollte nicht über sich reden. „Warum?“
Er musste es einfach wissen. Er hätte nicht danach fragen dürfen, aber er konnte sich nicht zurückhalten. „Um mir ein besseres Bild von Ihnen machen zu können.“ Es interessierte ihn, Einzelheiten aus ihrem Leben zu erfahren, das so ganz anders als das einer Frau in seiner Welt verlaufen war. Ein Leben, in dem eine Frau Partnerin und nicht Besitz des Mannes war. „Wir haben den ganzen Nachmittag Zeit. Sie können mir eine Frage stellen, danach bin ich dran. Das ist doch fair, oder?“ Roses Schweigen deutete er als Zustimmung. „Er war Pferdezüchter, sagten Sie?“
„Ich bin es, der Sie interviewt, Hassan.“
„Rennpferde?“
Eine Weile schwieg Rose, dann nickte sie. „Ja. Rennpferde.“ Danach erkundigte sie sich: „Hat sie ihn geliebt? Ihre Mutter?“
Das war’s. Zwei Worte. Vielleicht sollte er den Spieß umdrehen, ihr vor Augen halten, wie viel sie auf diese Weise aus ihm herausholen würde. Doch er brachte es nicht über sich. Eigentlich wusste er nicht, wie seine Mutter zu seinem Vater gestanden hatte. Sie war seine Frau gewesen. Das genügte. „Liebe ist eine westliche Gefühlsregung. Obendrein erst seit dem Zwanzigsten Jahrhundert.“
„Meinen Sie?“
„Das ist eine Tatsache.“
„Dennoch sind Liebende seit jeher die Lieblinge der Literatur gewesen … Abélard und Heloise, Tristan und Isolde, Lancelot und Guinnevere.“
„Romeo und Julia“, ergänzte
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