Julia Gold Band 53
sich schon jetzt für die Schlacht bereit machen.
„Wen kennen wir denn sonst da unten, der nicht nur neunundsiebzig Sprachen fehlerlos beherrscht, sondern außerdem noch jedem Diplomaten der Welt Nachhilfestunden geben könnte? Wir brauchen schon einen schlauen Fuchs, gegen den selbst der schlitzohrigste Händler keine Chance hat. Außerdem ist er mir noch einiges schuldig“, schloss sie mit düsterer Miene.
„Ohne wie du übertreiben zu wollen: Ich denke, er schuldet dir dein Herz“, bemerkte Frankie trocken. „Er hat es dir gestohlen, und ich glaube, er hat es immer noch.“
„Rede keinen Unsinn!“ Hannah war ehrlich erstaunt. „Er bedeutet mir gar nichts mehr. Siehst du“, fuhr sie fort, streckte die Hände aus und hielt sie einen Augenblick lang ruhig, „nicht das geringste Zittern. Die Welt geht nicht unter, wenn ich seinen Namen ausspreche. Sonst könnte ich gar nicht mit ihm arbeiten. Außerdem gehöre ich beinahe zur Familie.“
Frankie sah sie zweifelnd an. „Ich weiß, damals träumtest du davon, seine Frau zu werden, aber das habt ihr beide ja wohl unmöglich gemacht.“
Hannah zuckte ein wenig zusammen und erwiderte dann mit einem leicht scharfen Unterton: „Ich meinte damit, dass sein Stiefvater und ich wie Vater und Tochter waren. Khalil und ich sollten nicht verfeindet bleiben. Es wird Zeit, dass wir das Kriegsbeil begraben. Genau das schlug er übrigens selbst in seinem Brief vor, in dem er sich bereit erklärte, für uns dort unten zu verhandeln.“
„Um dann eine fette Provision zu verlangen“, warf Frankie zynisch ein.
„Wir brauchen den Mann“, sagte Hannah bestimmt, „also werden wir ihn benutzen. Ich bin nicht nachtragend, das weißt du. Ich kann meine Zeit nicht mit der Vergangenheit verschwenden – mit der Gegenwart habe ich genug zu tun. Der Mann ist auf schnell verdientes Geld aus. Warum nicht, soll er es haben! Du kannst nicht leugnen, dass er für unseren Erfolg sehr wichtig ist. Ohne ihn schaffen wir es nicht. Allein können wir weder die Qualität der Ware einschätzen noch ihren richtigen Preis, das hat uns auch die Handelskammer klargemacht. Ein Souk in Marrakesch ist nichts für Anfänger. Ich bezweifle, dass er auch nur einen Gedanken an mich verschwendet; wahrscheinlich kann er sich nicht einmal mehr daran erinnern, mich ein unmoralisches Weibsstück genannt zu haben“, meinte sie fröhlich.
„Möglicherweise hofft er, sich mit dir vergnügen zu können.“ Frankie sah besorgt aus. „Du weißt, was Männer von einer temperamentvollen Blondine mit deiner Figur halten. Und außerdem ist er Araber.“
„Zur Hälfte ist er Berber“, korrigierte Hannah, „und überempfindlich, wenn es um Stolz und Ehre geht. Khalil? Mich anfassen?“ Heftig schüttelte sie den Kopf. „Er ist prüde, und er hält mich für unmoralisch. Er würde doch seine Hände nicht mit Eselsmist beschmieren.“
Frankie schüttelte sich vor Lachen, und auch Hannah fand die Vorstellung amüsant, die sorgfältig manikürten Finger des jederzeit gepflegten Khalil derart besudelt zu sehen.
„Er ist einfach ein guter Geschäftsmann, und er will bei uns einsteigen, weil er weiß, dass unser Laden ein Renner wird.“
Mit leuchtenden Augen ließ sie ihren Blick in der noch leeren Halle umherstreifen, hakte sich bei ihrer alten Schulfreundin unter und ging mit ihr zu den Planzeichnungen an der Wand.
Frankie hatte eine Erbschaft gemacht und finanzierte zum großen Teil das gemeinsame Unternehmen, während Hannah den Einkauf und das Repräsentieren übernahm, eine Aufgabe, die ihr auf den Leib geschneidert war, denn mit ihrer Ausstrahlung und ihrem Auftreten konnte sie, wenn es darauf ankam, die Welt aus den Angeln heben.
In ihrer Dankbarkeit für das große Vertrauen, das die Freundin ihr auch in finanziellen Dingen schenkte, war Hannah bereit, jedes Hindernis zu überwinden, selbst ihre Abneigung gegen den Stiefsohn ihres ehemaligen Arbeitgebers, wenn sie damit dem gemeinsamen Vorhaben zum Erfolg verhelfen konnte.
Dieses Vorhaben war sehr ehrgeizig, dabei jedoch ganz einfach. Schon bald würde sich die weiträumige Lagerhalle in einen betriebsamen, exotischen, marokkanischen Souk verwandelt haben, über dessen Mittelgang man zwischen Bambus und Palmen flanieren und die farbenprächtigen Verkaufsstände rechts und links bewundern könnte.
Am nächsten Tag wollte sie selbst nach Marokko aufbrechen und dieses Land selbst kennenlernen, in dem sich auf so einzigartige Weise die Einflüsse
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