Julia präsentiert Träume aus 1001 Nacht 04
auch noch nie so sorglos und glücklich. Fast hatte er vergessen, dass so etwas möglich war. Er war so fest entschlossen gewesen, seinen Töchtern die Bildung angedeihen zu lassen, die seine Mutter und auch seine Frau nie bekommen hatten. Hatte er darüber andere, ebenso wichtige Bedürfnisse vergessen? Oder hatte er einfach geglaubt, es gäbe kein Glück für die, die regieren müssen?
Als Omar heruntergehumpelt kam, war Baba Musa schon gegangen, und Jana bemühte sich, den Fisch zu säubern, während die beiden Prinzessinnen ihr interessiert über die Schulter schauten. Das Messer war jedoch nicht scharf genug, und Janas Hände waren blutverschmiert.
„Warum hat Baba Musa das nicht für Sie gemacht?“, fragte Omar mitfühlend.
„Weil ich ihm gesagt habe, es sei nicht nötig.“
„Gehört das auch zu den Arbeiten, die jeder erledigen können sollte?“
„Ja, tut es!“, brauste Jana auf. Ehrlich gesagt, hätte sie es lieber an einem anderen Tag gelernt. Aber sie wusste, dass Baba Musa gern nach Hause wollte. Sie war erschöpft und hätte den Fisch lieber gleich gebraten. Diese Arbeit erledigte Baba Musa in wenigen Minuten. Sie hatte ihm bereits ein paarmal dabei zugesehen. Aber ihr gelang das nicht.
„Soll ich das für Sie machen?“, erkundigte sich Omar zuvorkommend.
Sie warf ihm einen finsteren Blick zu. „Das fragt der Mann, dem Angeln nicht gefällt? Können Sie das denn?“
Er zuckte mit den Schultern. „Männer haben ein Geschick für so etwas. Uns widert es nicht so an.“
Jana warf einen ungehaltenen Blick zur Decke und setzte ihre Arbeit fort.
„Es sind ja vier Fische“, stellte Omar fest. „Einer ist von Kamala und zwei sind von Masha. Wer hat den vierten gefangen?“
Jana ignorierte seine Frage. Masha antwortete ihm: „Baba Musa hat uns einen geschenkt, Baba, damit jeder von uns einen zum Abendessen hat.“
„Das war sehr nett von Baba Musa“, bemerkte Omar. „Natürlich habt ihr euch bei ihm bedankt.“
„Ja, Baba“, versicherten ihm seine Töchter wie aus einem Mund.
„Hast du einen Fisch für mich gefangen, Masha?“
Er war überrascht, welch bewundernden Blick er von seiner Tochter erntete. „Ja, Baba“, erklärte sie mit einem scheuen Lächeln.
„Der wird mir bestimmt besonders gut schmecken“, erwiderte er und tätschelte ihre Wange.
Ihre Augen leuchteten auf. „Ich fange gern einen Fisch für dich, Baba“, meinte sie.
„Arme Jana Khanum“, sagte er, und sie wandten sich ihr erneut zu. „Sie hat keinen Fisch gefangen. Gut, dass Baba Musa so großzügig war.“
„Verdammt noch mal!“, schimpfte Jana, als ihr das stumpfe Messer ausrutschte und sie sich in die Hand stach.
„Das hat sicher für alle Mithörenden einen erzieherischen Wert“, bemerkte Omar. „Kann es sein, dass Sie der Ansicht sind, jeder sollte auch in verschiedenen Sprachen fluchen können, Jana Khanum?“
Omar konnte sich nicht erinnern, dass er jemals so mit einer Frau gescherzt und gealbert hätte. Er sah, wie seine Töchter zu lachen begannen, und selbst Jana vermochte sich ein Schmunzeln nicht zu verbeißen. Mit einem Mal empfand er eine innere Freiheit, von der er nicht gewusst hatte, dass es sie gab.
11. KAPITEL
Zwei Tage später wurde Jana von einem Klopfen an ihrem Balkonfenster geweckt. Omar stand davor. Erschrocken sprang sie aus dem Bett und öffnete die Tür.
Er trug eine verwaschene Jeans und ein T-Shirt, wirkte aber vollkommen munter. „Omar!“, flüsterte Jana heiser. „Was ist passiert?“ Rundherum über den Bergen hing noch die Dämmerung. „Wie viel Uhr ist es überhaupt?“
„Halb sechs. Es ist nichts passiert. Würden Sie sich anziehen und mitkommen? Ich will Ihnen etwas zeigen.“
Da erst wurde ihr klar, dass sie nicht viel mehr als ein T-Shirt anhatte. Es war zwar weniger Haut zu sehen, als hätte sie einen Badeanzug an, aber da das Bett so nah stand, fühlte sie sich nackt. „Ja“, antwortete sie. „Fünf Minuten?“
„Ziehen Sie auch Schuhe an“, riet Omar ihr.
Jana kehrte ins Zimmer zurück und schlüpfte in fliegender Hast in ihre Sachen. Als sie in die Küche herunterkam, hängte er sich einen kleinen Rucksack über die Schulter, nickte ihr zu und verließ mit ihr das Haus.
Der Pfad, den er wählte, führte zum Fluss. Dort war sie auch schon gewesen. Aber als sie den Fluss erreichten, bog er ab und folgte dem Weg bergauf. Hier war der Pfad steinig und uneben. Omars Bein war noch nicht restlos verheilt, und der Aufstieg fiel ihm bestimmt
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